Kastanienbrut


Als schon die Sonne war im Schwinden
ein düst’rer Sinn mein Herz erfüllt
Saß grübelnd in des Herbstes Winden
Die alte Sehnsucht ungestillt

Sah auf ein Leben voller Kriege
Und auf Erfolge hier und da
Schüttelte Bäume, nie die Wiege
Und mancher Traum wurde nie wahr

Traf viele Frauen, nie die Eine
Und nie hielt ich mein eig’nes Kind
So schwer und alt sind nun die Beine
Und meine Jugend fraß der Wind

Die Tränen fallen auf den Boden
Wo geifernd sie das Laub empfängt
Der Himmel wie aus dunklen Loden
Sich eng um meine Seele drängt

Die dicke, uralte Kastanie
Die vor dem Regen mich bewahrt
Zeigt ihre stille Anteilnahme
Auf ihre eign’e fremde Art

Sie knarzt und knackt mit viel Getöse
Und fast fall ich in sie Hinein
Denn hinter mir gähnt groß und böse
Ein Loch schwarz wie Granitgestein

In seiner Mitte lag verlockend
Ein altes und verstaubtes Buch
Ich greif danach, in Ehrfurcht hockend
Begehrlich wie gebannt im Fluch

In seinen Seiten stand geschrieben
Wie man sich kleine Kinder macht
Die laufen, lachen und dich lieben
Am hellsten Tag, ins tiefster Nacht

Berauscht verschlang ich jede Zeile
Und jede Zeichnung, die dort war
Begann dann bald, nach einer Weile
Mit meinem Werk, so sonderbar

Ich sammelte mir kleine Zweige
Und auch Kastanien ohne Zahl
Band alles, bis es ging zur Neige
Zu Körperformen meiner Wahl

Gab etwas Blut aus meinen Händen
Auf jeden süßen, kleinen Fratz
Aus Blättern formte ich Gewänder
Und einen hübschen Hosenlatz

Ein Kuss sollte mein Werk vollenden
Mit all der Liebe unverteilt
Noch eh die Dämmerung sollt‘ enden
Hatte mich neues Glück ereilt

Da war Gelächter und Gespringe
Und kleine Beine auf der Haut
Strahlende Augen und Gesinge
So ward mein müdes Herz entgraut

Ihr frohes Wispern ließ mich schmunzeln
Denn endlich war ich nicht allein
Mein dürrer Mund voll tiefer Runzeln
Fror bald zu einem Lächeln ein

Sie sprachen zu mir voller Liebe
In Worten, die ich nicht verstand
Und doch erwuchs ein tiefer Friede
Der unsere Herzen eng verband

Sie brachten mir so manche Sachen
Wie Eicheln, Äpfel, Nüsse fein
Dies Tun schien ihnen Spaß zu machen
Und mir brachte es Schätze ein

Alsbald entschied ich es zu nutzen
Und zeigte einen Taler her
Ich sah die kleinen Kerle stutzen
Denen dies‘ Ding gefiel gar sehr

Sie schwärmten aus zu nahen Hütten
Und in die Städte groß und fern
Kamen zurück um auszuschütten
Was wertvoll glänzte wie ein Stern

So waren Tage mir beschieden
Voll Liebe und voll Reichtum auch
Mit einem Herzen voller Frieden
Und einem gut gefüllten Bauch

Alsbald erbaut ich mir ein Hause
So groß und teuer, voller Pracht
Dass sie mir füllten ohne Pause
Mit Gold und Silber Nacht für Nacht

Das Land um mich es wurde ärmer
Die Menschen darbten allesamt
Und mancher kam aus großer Ferne
Und bat um Hilf‘ aus meiner Hand

Die gab ich, doch zu einem Preise
So fand ich Sklaven ohne Zahl
Und Frau’n die dienten einem Greise
Der sie bezahlte für die Qual

Der Menschen Hass war heiß und bitter
doch groß die Furcht vor meiner Schar
So ließ kein Rachewunsch mich zittern
Weil ich geschützt und sicher war

Doch irgendwann war jeder Taler
Und jedes Goldkorn ausgeraubt
Die Kammern voll, die Beute schmaler
Doch meine Kinder unerlaubt

Suchten sich eilends neuen Quellen
Wo’s glitzernd, feucht und glänzend war
Sie gruben tief an manchen Stellen
Und machten dunkle Träume wahr

Des morgens als ich dann erwachte
war meine Bettstatt übersät
Mit dem was meine Brut mir brachte
Was nie aus meinem Kopfe geht

Ein Haufen abgeschälter Knochen
Und Augen glänzend feucht und blind
Erst frisch aus einem Leib gebrochen
Der schreiend starb und ging geschwind

Entsetzt und schreiend sprang ich auf
Warf von mir jenen eklen Schatz
Doch kam bald neue Fracht zuhauf
die schnell mir nahm jedweden Platz

Des Todes bittersüße Schwaden
Erfüllten jetzt mein Paradies
Und brachten Schrecken, Fäulnis, Maden
Bis schließlich jeder mich verließ

Als ich sie nun bat einzuhalten
Und ihr Geschenk barsch von mir wies
Sah ihre Augen ich erkalten
Enttäuschung mir entgegen blies

Nie sah ich meine Kinder wieder
Sie gingen fort auf Beinchen zart
Und legten alle Arbeit nieder
Der schlimmen und der guten Art

Und während stöhnend ich versuchte
Mein Heim von Leichen zu befreien
Kamen all die, die ich verfluchte
Und trieben ihre Schulden ein

Sie bauten einen Scheiterhaufen
Aus brennendem Kastanienholz
Es half kein schrei’n, kein Haare raufen
Und auch kein falscher, bitt’rer Stolz

Nun wo die Flammen nach mir lecken
Im eiskalten Oktoberwind
Und sie die Hölzer in mich stecken
Dort wo doch sonst die Augen sind

Höre ich Stimmen, dünn und gackernd
Und Blätter raschelnd wie ein Kleid
Kastanienholz bricht heiß und flackernd
Kastanienkinder schau’n mein Leid

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