Ich hasse mein Kostüm. Es ist eng. Es kneift und es dauert Stunden es anzulegen. Davon abgesehen ist es nicht einmal sonderlich originell. Aber es ist das einzige, das ich habe.
Manchmal sehe ich verstohlen hinaus und beobachte die anderen. Gewöhnliche Frauen, Männer, Kinder, die zu Geistern, Mumien, Vampiren, Dämonen und Werwölfen werden. Für eine Nacht opfern sie ihre Identität für einen Hauch vom Übernatürlichen und schließen einen unausgesprochenen Pakt mit ihrer Fantasie. Sie tauschen ein gelebtes Leben gegen tausend unlebbare.
All ihre Kostüme sind hübscher, fantasievoller, gruseliger als meines und ich wette, dass sie sie weitaus schneller überstreifen und sie auch ganz leicht wieder ablegen können, wenn sie betrunken von ihren Partys nach Hause torkeln oder mit Körben voller Süßigkeiten heimkehren. Sie streifen sie dann einfach nur ab. Wie eine abgelegte Haut. Wie den Kokon eines Schmetterlings, bis sie sie ihm nächsten Jahr erneut hervorholen oder sich gänzlich neue Verkleidungen ausdenken.
So schöne Kostüme. Sie machen mich neidisch, aber damit muss ich klar kommen. So ist es eben an Halloween. Es ist ein faszinierendes Fest. Verspielt, kreativ, mysteriös und bei allem Kommerz verströmt es doch immer diese besondere, schwer greifbare Stimmung einer Zeit am Wendepunkt. Wenn der Herbst sich zu voller Stärke aufbläst und der Sommer die letzten nervösen Zuckungen seines sterbenden Körpers hinter sich gebracht hat. Wenn das Jahr begreift, dass sein Tod unausweichlich ist.
Die Menschen spüren das. Ganz gleich, ob sie es begreifen oder nicht. Sie frönen dem üppigen Rausch der Vergänglichkeit und tanzen zwischen den verblichenen Knochen des Sommers und den ungepflegten Gräbern ihrer dahingegangenen Lebensjahre, während die grinsenden Kürbisse brennen und die Herbstwinde wüten. Und sie alle haben ihren Spaß in ihren ausgefallenen, bequemen Kostümen. Nur ich muss mich leider mit dem begnügen, was ich habe. So gewöhnlich und unbequem mein Kostüm auch ist: Ich muss es einfach anlegen. Genau wie an jedem anderen Tag des Jahres.
Andernfalls könnte ich mich nicht unauffällig unter ihnen bewegen.
Und sie würden von uns erfahren. Von den Wölfen in ihrer Mitte. Bevor die Zeit reif ist.