„Golddurchflammte Ätherwogen,
Schwerer Äste grüne Bogen,
Süß verwob’ne Träumerei’n…
Sommer, deine warmen Farben,
Helle Blumen, gold’ne Garben
Leuchten mir ins Herz hinein…“
– Lisa Baumfeld
Der Sommer ist wohl die Jahreszeit, die die Meisten von uns bevorzugen. Wir genießen die Wärme der Sonne auf unserer Haut, räkeln uns an Seen und Stränden und treffen uns des Nachts zu Grillfesten oder an Lagerfeuern wie um irgendeinem archaischen Feuergott zu huldigen. Es ist eine Zeit in der viele dieser Erinnerungen geboren werden, von denen wir uns auch dann noch erzählen, wenn der Sommer unseres Lebens längst vorrüber ist. Mit einem Lächeln auf dem Lippen und einem kleinen Rest jener Wärme in den Augen, die wir in diesen Sommern in unserer Seele eingeschlossen haben.
Der Staubsommer hingegen ist nicht der Stoff aus dem wärmende Nostalgie geschaffen wird.
Während im Fäulnisfrühling alles vor tödlichem Leben und ungesunder Feuchtigkeit überquillt, ist der Staubsommer vor allem eine Zeit quälender Trockenheit.
Es ist heiß – die Temperaturen erreichen leicht fünzig, sechzig Grad oder mehr – und auch wenn diese Hitze den Menschen zusetzt und so Manchen in den Tod treibt, ist sie nicht der eigentliche Grund dafür, den Staubsommer zu fürchten. Schlimmer als die Sonne, die in dieser Zeit jedwede Zurückhaltung aufgibt, ist der „Gelbe Staub“.
Denn vor allem er ist es, der jegliche Feuchtigkeit aus allen Dingen zieht und sie an einen unbekannten Ort verbannt. Pfützen, Schwimmbäder, Wassertanks, Flüsse, Seen, Wolken und sogar Meere trocknen aus. Tiere, Pflanzen und Menschen werden zu vertrockneten und toten Hüllen, denn auch ihr Lebensfunke entspringt dem Wasser. Dabei geschieht dies nicht in jedem Fall mit derselben Geschwindigkeit. Während die Wasservorräte des Planeten recht schnell verschwinden, dauert es bei Wasser, welches in Lebewesen gebunden ist, länger. Vor allem bei Tieren und Menschen kann sich die Austrocknung eine ganze Weile hinziehen. Und dieses Zeitfenster bietet Optionen.
Denn während die Pflanzen keine Wahl haben als letztlich zu vertrocknen und zu vergehen, genießen Tiere und Menschen den unschätzbaren Vorteil der Beweglichkeit. Sie können dort hingehen, wo es noch Flüssigkeit gibt. Und für Gewöhnlich tun sie das auch. Es beginnt mit einem Kampf um die letzten, schwindenden Wasserreserven. Bei den Menschen mag hierbei – Aufgrund der Errungenschaften der Zivilisation – zunächst noch ordentlich rationiert, verteilt und organisiert werden. Aber sobald den ersten klar wird, dass das zugeteilte Wasser nicht mehr für sie und ihre Familien reicht, wird es genauso sein wie bei den Tieren: Ein gnadenloser Kampf um das kostbare Lebenselexier entbrennt und fordert unzählige von Todesopfern.
Kugeln werden abgefeuert, Messer gezückt, Steine auf Köpfe geschmettert um alle Konkurrenten um die letzten kostbaren Tropfen auszuschalten. All dies wird noch befeuert von vertrocknenden Gehirnen, die vom eingedickten Blut kaum noch mit Sauerstoff versorgt werden und die ihren nahenden Tod durch die wildesten Wahnvorstellungen zu verschleiern suchen. Irgendwann während dieses wilden Blutbads – spätestens wenn das Wasser endgültig von der Erde verschwunden ist – werden die ersten feststellen, dass Wasser nicht die einzige Flüssigkeitsquelle darstellt. Auch aus den Körpern, die wie geplatzte Orangen rund um die ausgestrockneten Wasserstellen liegen, sickert köstliches, rotes Nass. Spröde, raue und gierige Lippen werden sich dann an offene Wunden setzen oder neue Öffnungen schaffen, um dort ausgiebig zu trinken. Und wenn die gefallenen Früchte allesamt leergetrunken sind, werden neue geerntet werden.
Einige Wohlhabende mögen in diesen modernen Zeiten versuchen ihre Wasserreserven mit Filtern und Lüftungssystemen vor dem Gelben Staub zu schützen. Eine Möglichkeit, die den Altvorderen nicht zur Verfügung stand und die sogar einigermaßen funktioniert. Zumindest eine zeitlang, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind.
Erstens sollten sie möglichst viele Pflanzensamen, sowie trockene Lebensmittel wie Mehl, Nuden, Reis, Eiweisspulver, Trockenobst und Dergleichen in ihren Vorratskammern lagern. Jedes Korn und jeder Samen kann nach dem Ende des Staubsommers über Leben und Tod entscheiden.
Zweitens sollte die Elektronik und Mechanik sehr widerstandsfähig sein. Denn der Gelbe Staub kann leicht Platinen verschmoren und Maschinen verstopfen und so jede Schutzmaßnahme ad absurdum führen.
Drittens sollte es in diesen Refugien keine schwangeren Frauen geben. Denn aus jedem Kind, das in dieser Zeit geboren wird, wird ein so genanntes „Dürrebalg“. Ein vertrocknetes, hässliches, aber lebensfähiges Monstrum mit dürren Gliedern und sandpapierartiger, rauer Haut, das seiner Mutter im Moment der Geburt sämtliche Flüssigkeit entzieht und welches den Gelben Staub ausatmet wie eine Pestilenz.
Dass diese Kinder auch außerhalb der Refugien geboren werden, bringt uns unmittelbar zur vierten Überlebensregel: Jedes Refugium muss über sehr dicke Mauern und gut durchdachte Verteidigungsanlagen verfügen. Denn anders als der Gelbe Staub selbst, sind Dürrebälger intelligent und unglaublich stark, wodurch es ihnen ein leichtes ist auch massive Hindernisse zu zerstören. Neben den Dürrebälgern gilt es natürlich auch verzweifelte, verdurstende Menschen und Tiere fernzuhalten und den seltenen aber fatalen Gelben Staubstürmen zu widerstehen. Den schrecklichen Momenten, wenn der Gelbe Staub nicht träge und sanft über das Land hinwegschwebt, sondern mit gewaltiger Macht jedem ungeschützten Menschen das verdorrte Fleisch von den spröden Knochen schält und auch schlecht geschützte Rückzugsorte bis auf die Grundmauern schleift.
Jene die, diese Regeln befolgt haben, gehören zu den wahrscheinlichsten Überlebenden, wenn der Staubsommer endet. Doch auch wenn die Temperaturen plötzlich fallen und von der lang erhofften Erlösung kunden, sollten sie ihre Festungen nicht zu früh verlassen. Denn alle Flüssigkeit, die der Gelbe Staub in sich aufgenommen hat, wird am Ende des Staubsommers mit einem Mal der Erde zurückgegeben, was zu gewaltigen Flutwellen und erneuten Verheerungen führt. Danach – und wirklich erst danach – können sich die Überlebenden wieder ins Freie begeben und sehen, was sich mit der versehrten Erde noch Anfangen lässt.
Als Nächstes gilt es euch vor den Gefahren des Hungrigen Herbst zu warnen. Verpasst diese Warnungen nicht. Euer Leben könnte davon abhängen.