Das Albschloss

Mein lieber Junge, du bist müde
Der Tag war hart, die Menschen rüde
Die kleine Kammer scheint dir sicher
Du lauschst dem lockenden Gekicher

Das zwischen Wand und Nichts entsteht
Nachts, wenn die Welt sich um dich dreht
Und alle Türen Haaresbreit
Sich auftun in die Ewigkeit

Wenn Seiten sich um Finger schmiegen
Und schwarze Schrift trübt deinen Frieden
Die Tinte fließt wie dunkles Blut
Netzt Haut und Augen, brennt wie Glut

Mein lieber Junge, träumst du nicht
von dem was in den Spalten spricht?
Ist dein Gesicht nicht weltentrückt
längst nicht mehr von der Welt beglückt?

Mein lieber Junge, hallt das Fieber
Nicht heiß in deinen Venen wider?
Sind die Gedanken nicht gefangen
Vom Drang ins Albschloss zu gelangen?

Wo Goldprinzesschen, Blütenritter
huldvoll flanier’n durch Wahn und Glitter
Wo Höhlensäusler murmelnd kauern
Und Klagefeen um Kinder trauern

Mein lieber Junge, ich hab‘ Sorgen
Find ich dich heut noch, oder morgen
Unter dem Deckchen klamm und schwer
Oder bleibt dann dein Bettchen leer?

Mein lieber Junge, hab‘ Erbarmen
Lass mich nicht hier mit leeren Armen
Die dich schon jetzt kaum mehr erreichen
Den lieben Jung, den stillen, bleichen

Mein lieber Junge, was ist anders?
Siehst du die Hand, die zu dir wandert
So knorrig, haarig, fahl wie Leinen
Greift sie nach dir und deinen Beinen

Mein lieber Junge, bleib nicht liegen
Kann nicht zu dir, werd‘ abgeschieden
Während sie flüstern, singen, reden
Und ihre Fäden um dich weben

Mein lieber Junge, flieh das Zimmer
Das leise, endlose Gewimmer
Das was sie heilig dir geloben
Ist Wichteltrug und Feentoben

Mein lieber Junge, noch scheint Licht
Ein winz’ger Spalt der bald schon bricht
Der Mutter sanft ins Angesicht
Dort wo der Alltag nagt und sticht

Mein lieber Junge, schau das Wimmeln
Hinter der Wand, unter den Himmeln
Die dich empfangen kalt und bitter
Dein Leib weiß mehr als du, er zittert

Mein lieber Junge, dieses Grinsen
Ich fürcht‘, du zahlst es ab mit Zinsen
Schon zieht man dich aus uns’rer Sphäre
In schöne, wilde, böse Leere

Dann ists geschehen, dein Zimmer weint
Weil’s ihm unwiderbringlich scheint
So wie auch mir, die schluchzt und bebt
Und künftig tot und einsam lebt

Hätt‘ ich doch nie vor Jahr und Nacht
Dir’s Märchenbuch vom Markt gebracht
Das blank nun auf dem Nachttisch liegt
Der Mensch verharrt, die Zeit, sie fliegt

So geh ich in den bitt’ren Wind
Schreit‘ ziellos, taumenlnd, unbestimmt
Und frag‘ mich, wem die grimme Welt
Das schlimm’re Morgen offenhält

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