Oh Knochenbaum


Die Tannen glitzern weiß wie Bein
In dieser Weihnachtsnacht
Die Folter meiner Herzenspein
Hat mich hierhergebracht

Im würzig herben Tannenduft
und frostig kaltem Schnee
Saug‘ die belebend leichte Luft
ich ein wie süßen Tee

Die Flocken knirschen ahnungsschwer
Unter der Stiefel Schritt
Die Äste knarren allzu sehr
Die Sehnsucht reißt mich mit

Will nur hinaus aus meinem Trott
Dem Alltag, der mich lähmt
Bete zum namenlosen Gott
Dass er mein Herz nicht zähmt

Suche nach Wegen neu und fremd
Die keiner vor mir ging
Und folge durch das Flockenmeer
Dem kleinen Schmetterling

Mit sieben Flügeln, schräg geformt
Und Fühlern viel zu dick
Er surrt laut, stotternd, wie im Zorn
Und fängt gleich meinen Blick

Vor ihm tut sich ein Pfad scheu auf
So knorrig und verdreht
Ich duck mich tief, er nimmt mich auf
Und bald mein Körper steht

In einem neuen, weißen Wald
voll knirschend feiner Pracht
Nur ists hier warm, nicht länger kalt
Und schwarz die Sonne lacht

Die Luft riecht nach verbranntem Horn
Und faulig, dick und alt
Ich will zurück, doch kann ich’s nicht
Bin Gast in diesem Wald

Die Knochen brechen unter mir
Und locken Maden an
bleich, hungring, schlürfend voller Gier
So groß, fast wie ein Mann

Voll Grauen flücht‘ ich mich im Nu
Ins knochige Geäst
Zieh mir so manchen Splitter zu
Mein Blut den Baum benässt

Die Maden schauen schmatzend hoch
Sie haben viel Geduld
Umringen mich, rings um den Stamm
Als wärs ein düstrer Kult

Der Hunger wächst, ich harre aus
Der Knochenstaub er brennt
Ich huste Schleim und Eiter aus
Und seh mein grausig End

Doch plötzlich als die Not so groß
Glaub schon ich bild’s mir ein
Erscheint ein Wesen, nackt und bloß
Wohl menschlich und allein

Mit einem Schwall aus Zaubermacht
Heizt sie den Monstren ein
Die Leiber glühen in der Nacht
Entflammte Maden schrei’n

Doch schließlich ist das letzte Biest
Zu Ascheschleim verkohlt
Und jene Frau, die Flammen schießt
Mich sanft vom Baume holt

Sie greift behutsam meine Hand
So zitternd, voller Schweiß
„Ein Glück für dich, dass ich dich fand“
Spricht sie unendlich leis

Ich frag, was für ein Ort das ist
Und spreche meinen Dank
„Im Knochenwald verlor’n du bist“
Sagt sie, reicht einen Trank

Aus süßen, klaren Beerensud
Der meine Zunge netzt
Nie schmeckte es mir ach so gut
Fühl mich erneuert jetzt

„Komm eile dich, verweile nicht
Dies ist kein guter Ort
In meinem Heim hab ich für dich
Viel Speis und manch ein Wort“

Sagt sie befehlend, herrisch gar
Doch freundlich auch zugleich
Ein Weihnachtswunder scheint mir nah
Und ach ihr Haar so weich

Sie ist zwar streng, doch wunderschön
Und gibt mir Sicherheit
Die nackte Haut sie kleidet sie
Noch besser als ein Kleid

Wir laufen durch den weißen Wald
Voll Schrecken und Gefahr
Doch sie hält meine Hand schon bald
Mein Herz fühlt sich ihr nah

Dann steigen wir ins Wurzelwerk
Tief unter einem Baum
In eine Höhle unbemerkt
Vom oberird’schen Grau’n

Dort ist ein Tisch und Stühle auch
Wir setzen uns geschwind
Gebrat’nes Fleisch füllt meinen Bauch
Ihr Körper meinen Sinn

Legt meine Hand an ihre Brust
Mein Blick füllt sich mit Gier
Ich bin ein Sklave meiner Lust
Und bald ,ein Teil von ihr

Klagende Stimmen weinen schwach
Irgendwo hinter mir
Ihr Kuss, er hält mich sanft in Schach
Sie dringen kaum zu mir

Sie ist mir nah und spricht ein Wort
So leise und vertraut
Es nimmt mir meinen Willen fort
Und jede Regung auch

Kann nur noch hören, warten, sehen
Wie ihre Freunde kommen
Mehr Hexen, die im Dunkeln gehen
Ich sehe sie verschwommen

Manche sind jung, andere Alt
Und alle hart und streng
Ich wünscht fast, ich blieb im Wald
Und meine Brust wird eng

Die Retterin löst sich von mir
Und grüßt die fremden Frauen
Fast alle sitzen nun bei mir
Bin starr erfüllt von Grau’n

Nur eine öffnet eine Tür
Verborgen in der Wand
Sie tut die Hölle auf vor mir
Wie ich sie nie gekannt

Dort hängen Leiber ausgeschabt
Von Männern und von Maden
Gepökelt, sorgsam aufgehängt
An Kette, Seil und Faden

Doch seh ich auch neun Männer noch
Die grad am Leben sind
Manche sind klapprig, irr‘ und bleich
Und andere sind blind

Gleich neben ihnen ist ein Platz
Für mich ganz reserviert
Werd festgebunden wie ein Schatz
Und sorgsam präpariert

„Danke für dieses Festgeschenk“
sagt meine holde Maid
Sie küsst mich weinend und zieht an
Ein scharlachrotes Kleid

Dann setzt sie sich an jenen Tisch
Zu ihrem Hexenkreis
Die Männer Stöhnen fürchterlich
Und mir wird kalt wie Eis

Doch während ich den Worten lausch
Die jene Hexen sprechen
In ihrem wilden Fleischesrausch
Und ihrem Knochenbrechen

Erfahr ich, dass sie Retter sind
Beschützer unsrer Welt
Dass nur sie stoppen jenen Wind
Der hier sonst Einzug hält

Mein Opfer nährt ihre Magie
Ich tu ein gutes Werk
Mein Körper stärkt die Harmonie
Was ich wohl bald schon merk

So denk ich zynisch und verzagt
In dem erzwung’nen Halt:
So wars doch gut, dass ich betrat
den weihnachtlichen Wald

Denn was wär schöner als Präsent
Für unsere arme Welt
Als Schutz zu bieten vor dem End
Bis das mein Leib zerfällt

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