„Sie wissen, dass das kein Leben wäre“, sagte Navin Pornecks Sprachrohr ins augenlose Angesicht, „wir wären nur Ihre willenlosen Sklaven“. Dabei beobachtete er praktisch von außen, wie diese Worte seinen Mund verließen, denn so viel Mut hätte er sich gar nicht zugetraut. Man hätte behaupten können, dass er schlicht nichts mehr zu verlieren hatte. Aber das stimmte nicht. Man konnte immer noch mehr verlieren – das hatte ihn sein Leben in Deovan gelehrt.
Navin hätte sich nicht gewundert, wenn sich in diesem Moment der sackartige Mund über ihn gestülpt und ihm alles ausgesaugt hätte, was ihn von dem Staubhäufchen neben sich unterschied. Wie hypnotisiert starrte er auf den fleischigen Mundschlauch. Dieser kräuselte sich tatsächlich beunruhigend und schob sich kriechend ein Stück auf ihn zu, wobei er eine schleimige Spur über den staubigen Tisch zog.
Navins Brust gefror zu Eis. Doch Porneck erwies sich als geduldiger, als Navin vermutet hatte. Statt ihn zu verschlingen, entschied er sich für eine zivilisiertere Antwort.
„Sie sehen das viel zu negativ“, entgegnete der Planetenkrebs mit leiser, schmeichelnder Stimme, „in mir lebt und denkt eine Gemeinschaft. Tausend Stimmen sprechen in mir. Tausend Augen sehen. Alle Konflikte sind beseitigt, alle Differenzen beigelegt. Wie sonst, wenn nicht so, sieht Frieden aus?“
Navins Mund wurde mit einem Mal knochentrocken. Seine Hände zitterten. Für einen Moment liebäugelte er damit, sich einfach zu ergeben und seine Welt Pornecks Klauen auszuliefern. Was schuldete er ihr schon? Hatte sie oder irgendeiner ihrer Bewohner ihm je geholfen, als er ganz unten angekommen war? Als sein Unternehmen Konkurs gegangen und all sein Geld aufgebraucht gewesen war? Als er weinend auf dem staubigen Asphalt des Invisible Land oder von Albträumen und Zahnschmerzen geplagt auf seiner billigen Matratze im Kartellamt gelegen hatte? Hatte sein Schicksal irgendjemanden gekümmert? Nein, dachte er und für einen Augenblick befriedigte ihn der Gedanke, Deovans kalte Straßen allen selbstsüchtigen Lebens beraubt und all diese aufgeblasenen Arschlöcher in Pornecks Eingeweiden leiden zu sehen.
Das Problem war nur, dass er immer noch in dieser Welt lebte und dass auch ihn dasselbe Schicksal erwarten könnte wie jene, die er verachtete, wenn er sich Porneck einfach so ergab. Deshalb musste er widersprechen. Ja, er musste der Bestie die ungeschönte Wahrheit ins Gesicht spucken, auch wenn ihn allein der Gedanke daran der Ohnmacht nahebrachte.
Navin versuchte sich zu erinnern, wie es gewesen war, ein CEO zu sein. Wie es gewesen war, dieses unerschütterliche Selbstbewusstsein zu haben und er gelang ihm tatsächlich einen Hauch davon zu erhaschen und sich wie ein Banner vor die Brust zu heften. Seine Hände hörten auf zu zittern und seine verängstigten Augen wurden hart wie Glas. „Ich habe genügend Marketingslogans in meinem Leben gehört, Nehmer Porneck und einige davon auch selbst verfasst. Ich erkenne, wann etwas nur ein bisschen geschönt ist und wann eine glatte Lüge. Was Sie sagen, ist letzteres. Das lehren auch die Aufzeichnungen aus den Archiven, zu denen ich Zugang hatte. Das Leben als Teil Ihres Körpers ist kein kollektivistischer Traum, sondern ein beständiger Albtraum. Es umfasst ständige Schmerzen und vollkommene Unterwerfung unter Ihren Willen. Sie wollen uns nicht als Partner gewinnen, sondern als Ressourcen. Für Wissen, Ideen und Energie. Das weiß ich. Besser als die meisten anderen. Die Nichtexistenz ist dem eindeutig vorzuziehen.“
Kaum da Navin diese Worte ausgesprochen hatte, erhob sich der Röhrenmund vom Tisch und schoss wie eine zupackende Schlange auf seine rechte Gesichtshälfte zu. Adrenalin flutete durch Navins Körper, doch die Schockstarre verhinderte jeden Fluchtversuch noch zuverlässiger als der Stuhl, auf dem er saß. Voller Grauen spürte er, wie die rauen, feuchten Lippen sich über sein Gesicht legten und sein Ohr dabei so luftdicht und eng einschlossen, dass er das Blut – oder welche Flüssigkeit es auch immer war – in den Adern des Wesens rauschen hören konnte.
„Ist das so?“, vernahm er ein Zischen, wahrscheinlich extrem leise, aber durch die Nähe des Mundes zugleich so unglaublich laut, dass er glaubte, bald taub zu werden, „Nun, dann fürchte ich, dass Sie einem schlimmen Schicksal entgegensehen werden. Denn was mir nicht gegeben wird, werde ich mir nehmen, Have-Non Navin, nun da ich von ihrer Notlage weiß. Und es gibt nichts, rein gar nichts, was Sie dagegen tun könnten.“
„Da irren Sie sich“, brachte Navin hervor, zitternd, aber immerhin nicht erbärmlich wimmernd, „wenn Sie mich verschlingen und ich nicht zurückkehre, werden die CEOs das als ihre Antwort verstehen und entsprechend handeln. Wer kann, wird fliehen und seine Büros und Fabriken zurücklassen. Der Rest wird in ihr Nest hinabsteigen und sie mit allem bekämpfen, was wir haben. Sollten wir scheitern, werden wir den Planeten sprengen oder so viel Geflechtenergie verbrauchen, dass selbst Sie das Geflecht nicht mehr stabilisieren können. Ich bin kein Bittsteller, Nehmer Porneck. Dies ist eine Verhandlung zwischen Geschäftspartnern und ich verlange ein vernünftiges Angebot.“
Ein Lachen erklang, so laut, dass das geschah, was Navin befürchtet hatte. Er wurde rechtsseitig taub. Auf jeden Fall temporär, vielleicht auch für immer. Porneck, dem dies wohl bewusst war, löste seinen Mund von ihm mit einem Schmatzen, das er nur noch spürte und legte seinen Mund etwas weiter links von ihm ab.
„Was, wenn ich Ihnen das nicht glaube?“, fragte Pornecks stinkender Mund, lauernd.
„Dann werden Sie mich verschlingen und wissen spätestens dann, dass ich nicht gelogen habe“, antwortete Navin, „doch dann wird es zu spät sein.“
Stille kehrte ein. Lediglich der süßlich-saure Atem Pornecks schlug Navin ins Gesicht.
„Sie sind ein geschickter Unterhändler, Have-Non Navin“, nahm der Planetenkrebs den Gesprächsfaden wieder auf, „und mutig obendrein. Umso mehr wundere ich mich darüber, dass Sie für eine Welt kämpfen, in der Sie wie Dreck behandelt wurden und weiter werden. Sie sind schwach, unterernährt und wahrscheinlich in wenigen Jahren tot. Warum machen Sie sich die Mühe? Warum halten Sie an diesem Leben fest? Was haben Sie davon?“
Damit traf Porneck einen wunden Punkt. Navin hatte von seinem Leben wirklich nicht viel mehr zu erwarten als im besten Fall zwei Jahre in einer Stellung mit eng begrenzter Macht.
Porneck – selbst wenn er Navins Gedanken nicht gelesen haben sollte – schien zu erraten, was in dem Kartellwächter vorging.
„Es kann eine Zukunft für Sie geben“, schlug Porneck vor, „und die muss nicht in meinem Inneren liegen, wenn Sie das nicht möchten. Ich habe bereits einen Gesandten, aber wenn ich wachse, könnte ich einen weiteren gebrauchen. Es gibt andere Welten als Deovan und es ist immer klug zu expandieren. Sie könnten mir dabei helfen. Sie könnten meinen Samen in diese anderen Welten tragen und Vereinbarungen für mich aushandeln. Dabei würden Sie Ihren freien Willen behalten und allen Reichtum genießen, den Sie begehren. Alles, was Sie dafür tun müssten, ist, mein Angebot zu akzeptieren, an die Oberfläche zurückzukehren und ihren Freunden zu erzählen, dass ich kooperationsbereit bin und nicht mehr als ein paar Bauernopfer verlange. Leute, die sie gut entbehren könnten. Dafür würden Sie mein Lied überall in Deovan erklingen lassen und so letztlich alle meine Schäfchen zu mir holen. Wäre das akzeptabel für Sie?“
Navin dachte ernsthaft darüber nach. Er traute Porneck nicht und er wusste, dass es ein Handel sein würde, dessen Konsequenzen er nicht absehen konnte. Oder vielleicht konnte er sie doch absehen. Navin beschlich das ungute Gefühl, dass der erste Gesandte des Planetenkrebses nicht irgendwo im Multiversum unterwegs war, sondern ihm vielmehr direkt gegenübersaß. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, hieß das nicht unbedingt, dass das auch sein Schicksal sein musste, wenn er den Deal akzeptierte. Porneck würde nicht noch eine willenlose Marionette brauchen. Zumindest vorerst nicht. Navin würde für viele Jahre wirkliche Macht und Reichtum genießen können und bevor der Planetenkrebs den Griff enger um ihn schloss, könnte er noch immer in den Tod fliehen. Ja, er würde auf diesen Handel eingehen. Aber zu seinen Bedingungen. Navin hatte zu viel Erniedrigungen erlebt, um das einfach zu vergessen. Er wollte Rache.
„Ich akzeptiere“, sagte Navin, „unter einer Bedingung.“
„Und die wäre?“, fragte Pornecks Sprechpuppe mit einem schmatzenden Geräusch.
„Ich schicke Ihnen zuerst die Nehmer. Alle anderen erhalten ein Jahr in Freiheit. In wirklicher Freiheit“, schlug Navin vor.
„Sie werden fliehen“, wandte Porneck ein und klang dabei alles andere als begeistert.
„Wieso sollten sie?“, entgegnete Navin, „Sie werden all das vorfinden, was sie selbst erarbeitet haben und sich doch niemals leisten konnten und niemand ist mehr da, um es ihnen vorzuenthalten. Es wäre ein Paradies auf Zeit, während all die aufgeblasenen Ausbeuter in Ihrem Innern leiden. Und dann, nach einem Jahr wunderbarer Erinnerungen, von denen sie zehren können, können Sie auch die Geber und Have-Nons zu sich holen. Wären Sie damit einverstanden?“
„Ja“, sagte Porneck mit einem zufriedenen Grinsen und direkt nachdem er dieses Wort geäußert hatte, kroch seiner fleischigen Handpuppe ein kleiner Strom von stinkenden Ernährern aus dem Sackmund, direkt auf Navin zu, bereit, ihre lebensverändernde Nahrung anzubieten. Der Kartellwächter öffnete den Mund und wehrte sich nicht.
~o~
„Sag mal, Meister, warum bist du eigentlich hier?“, fragte Clary, bevor sie erneut in ihren Joydi biss. Einer gefüllten Teigrolle aus dem Hause „New Day Inc.“, deren Füllung es in verschiedenen Geschmacksrichtungen und Konsistenzen gab und die angeblich über ein sehr ausgewogenes Nährstoffverhältnis und einen hohen Sättigungsgrad verfügte. Bei einem Preis von zweihundert Dominanten pro Stück sollte man das auch besser erwarten können.
„Tja, warum sollte man sich wohl in einen Raumhafen begeben?“, fragte Callan mit wohlwollendem, aber etwas genervtem Spott. Er wusste, dass Blue Minds naiv waren. Doch nach allem, was man hörte, waren sie für gewöhnlich nicht dumm.
„Nun, dafür kann es viele Gründe gebern“, sagte Clary kauend, „gutes Essen zum Beispiel, hübsche Architektur, nette Leute, kosmopolitisches Flair … ach ja, und reisen natürlich … wenn man etwas langweilig drauf ist.“
Sie zwinkerte Callan zu, kicherte fröhlich und wischte sich etwas von ihrer nach Hunbeerencreme schmeckenden Füllung aus dem Mundwinkel.
„Dann bin ich wohl langweilig“, entgegnete Callan, der seinen Kürbis-Joydi noch nicht angerührt hatte, seinerseits schmunzelnd, „denn ich bin allein wegen des Reisens hier.“
„Aber wieso willst du denn unbedingt weg?“, fragte Clary.
Callan sah sie verwundert an und fragte sich, wie tief der Glaube an das Gute in ihr verwurzelt sein musste, wenn er nicht einmal durch ihr kürzlich erlittenen, traumatischen Erfahrungen ernsthaft erschüttert werden konnte.
„Ich habe meine Gründe“, sagte Callan, der nicht scharf darauf war, vor Clary alle Details seines Lebens auszubreiten. Es war schon absurd genug, dass er jetzt im Grunde für diese Frau verantwortlich war.
„Wohin willst du denn?“, setzte Clary zu einer weiteren Frage an, als sie begriff, dass Callan ihr keine aufschlussreiche Antwort auf die erste geben würde.
„Das weiß ich noch nicht genau“, sagte Callan, „aber Geberin Kamita hat vorhin von einer Reiseberatung gesprochen. Vielleicht werde ich die aufsuchen. Nachdem wir aufgegessen haben.“
„Alles klar, Chef“, gab sich Clary zufrieden, nur um kurz darauf wieder das Wort zu ergreifen.
„Das Ding hier ist übrigens sehr lecker“, meinte sie und sah sich dabei in der Halle um, „ich frage mich, warum nicht mehr Leute einen davon essen.“
„Sie kosten sehr viel Geld“, entgegnete Callan.
„Heißt das etwa, man bekommt sie nicht, wenn man zu wenig Geld hat?“, fragte Clary.
„Das ist das Prinzip, ja“, antwortete Callan.
„Aha“, sagte Clary, „hatte das schon vermutet. Ich hatte ein paar Früchte haben wollen, an so einem schäbigen Stand draußen in den Straßen, nachdem Mama mich rausgeworfen hatte. Ich hatte wirklich ziemlich viel Hunger gehabt. So viel, dass ich sogar den vergorenen Geruch ignoriert hätte. Aber der Mann am Stand wollten mir kein Obst geben, weil ich keine Dominanten bei mir hatte. Ich frage mich, was die Leute sonst essen sollen, die keine Dominanten haben.“
„Nichts“, antwortete Callan, der keinen Sinn darin sah, ihr diese Tatsache vorzuenthalten. Früher oder später würde sie es ohnehin erfahren.
„Aber … dann verhungern sie doch“, antwortete Clary.
„Das stimmt“, sagte Callan, „außer, wenn sie etwas haben, dass sie anderen anbieten können.“
„Zum Beispiel?“, erkundigte sich Clary
„Ihr Leben“, erklärte Callan, verbittert, der unausweichlich an seine eigene Vergangenheit denken musste, „ihren Körper. Ihre Zeit. Ihre Freiheit. Ihren Schlaf. Ihre Träume und jeden Funken Feuer, den sie in sich tragen. Entweder das oder verhungern. Zwischen diesen Optionen können wir wählen.“
„Das ist keine Wahl“, meinte Clary angewidert.
„Es ist die einzige, die du in Deovan hast“, sagte Callan, „verstehst du jetzt, warum ich hier wegwill?“
~o~
Navin spürte immer noch den bitteren Geschmack des Nahrungsbreis auf seiner Zunge. Immerhin hatte sich im Gegenzug das Aroma von verfaulten Zähnen verflüchtigt. Nicht etwa, weil seine Zähne plötzlich gesünder geworden wären, sondern weil sie ihm ausgefallen waren. Allesamt. Interessanterweise betrübte Navin das nicht. Im Gegenteil, die Abwesenheit des permanenten Schmerzes, war befreiend. Und wundersamerweise hatte er festgestellt, dass dieser Verlust seine Fähigkeit zur Artikulation nicht beeinträchtigte. Möglicherweise lag das an den subtilen Veränderungen in seiner Mundhöhle, die sich zugleich enger und flexibler anfühlte, so als hätte man einige Knochen durch Muskeln ausgetauscht.
Ansonsten war er aber – fürs Erste – ganz der Alte, als er das Kartellamt einmal mehr für eine Rede betrat. Anders als bei seinem letzten Auftritt fühlte er sich mächtig und selbstbewusst, vielleicht zum ersten Mal, seitdem er diese Position bekleidete. Er bereute seine Entscheidung, sich auf Porneck einzulassen, nicht, auch wenn ihm das leise Grummeln und die unwillkürlichen Muskelbewegungen unter seinem Anzug ein wenig Sorgen bereiteten. Aber das ignorierte er vorerst.
Sein Plan hatte Vorrang vor derlei Unwesentlichkeiten und die Vorfreude auf seine Durchführung vertrieb die leise Besorgnis über seine körperlichen Veränderungen mühelos.
Unter ihm standen sie. Die Konzernführerin und Konzernführer. Die, die ihn verachtet hatten. Die, die auf ihn herabgesehen hatten. Überheblich lächelnd und selbstzufrieden wie immer. Doch das würde sich ändern. Schon bald.
Sie alle hatten gedacht, dass es eine gute Idee wäre, jemanden vorauszuschicken, der entbehrlich und verzweifelt war. Sie hatten sich geirrt.
Navin blickte die CEOs an. Stumm. Neutral. Abwartend. Zevil Nehmer von ReCrate, Nehmerin Zydra von Aquation, Ninwata Nehmer von Rise, Hunita Nehmer von New Day und auch der so jung aussehende wie klapprige und schwächliche Nural Nehmer von MKH, der als Nummer drei seines Unternehmens gekommen war, weil die anderen wohl Besseres zu tun gehabt hatten. Er hatte ihnen Nachrichten gesandt und sie alle waren gekommen. Alle. Die bedauernswerten Löwen und das glückliche Lamm.
Diese köstliche Tragödie würde zwei Akte haben. Und der erste davon würde in wenigen Minuten beginnen. Das Material dafür hatte ihm Arnin wie versprochen zugesandt, nachdem er dem Whe-Ann gegeben hatte, was er verlangt hatte.
„Und Have-Non, Navin“, spottete Zevil Nehmer in die Stille hinein, „haben Sie Ihre Weisung befolgt und Porneck die schleimigen Füße geküsst? Haben die etwas so gestunken, dass es Sie alle Zähne gekostet hat?“
Zevil gackerte so gehässig, dass sein Zylinder bebte.
Navin verspürte ein kurzes Aufwallen von Zorn angesichts dieser Äußerung. Das hatte er erwartet. Was er nicht erwartet hatte, war, dass sein Unmut weniger mit Zevils ekelhafter Art zu tun hatte als mit dessen Schmähungen gegen Porneck. Irgendwie verspürte er das Bedürfnis, die Ehre des Planetenkrebses zu verteidigen. Zum Glück war dieser Drang schwach genug, um ihm widerstehen zu können. Eine schwülstige Rede auf die Ehre des Parasiten, hätte seiner Glaubwürdigkeit nicht gutgetan.
„Ich habe Porneck wie vereinbart aufgesucht“, sagte Navin in ruhigen, wohltemperierten Worten, „und ich habe hervorragend verhandelt. Mit dem Ergebnis können wir mehr als zufrieden sein. Er ist bereit, das Geflecht zu stabilisieren. Zu einem geringen Preis.“
„Welcher Preis soll das sein?“, fragte Ninwata skeptisch.
„Er möchte die Anzahl der Deovani, die den Weg in seine tröstenden Arme finden, erhöhen“, erklärte Navin, „zu diesem Zweck soll sein Gesang über der ganzen Stadt erschallen. Natürlich wird er aber nur an die Ohren derjenigen dringen, für die er bestimmt ist. Dafür werde ich sorgen.“
„Ein paar Have-Nons können wir mit Freuden entbehren“, sagte Zevil höhnisch und glaubte in seiner Überheblichkeit natürlich zu wissen, wen Navin gemeint hatte.
„Manche Opfer müssen gebracht werden“, stimmte Navin vage zu, „so schwer es fällt. Leider ist das aber nicht seine einzige Bedingung.“
„Welche denn noch?“, erkundige sich Zydra, „ich dachte, sie hätten ein gutes Ergebnis für uns herausgeholt.“
„Oh, das habe ich. Das zweite Opfer, das verlangt wird, ist eins, mit dem fast alle hier Anwesenden kein großes Problem haben sollten“, meinte Navin lächelnd, „Porneck verlangt die Auslöschung des Machtkomplexes der kalten Hand.“
Zevil Nehmer brach in schallendes Gelächter aus. Hunita beherrschte sich besser, konnte sich jedoch zumindest ein angedeutetes Lächeln nicht verkneifen.
„Was bilden Sie sich ein“, empörte sich Nural Nehmer und sah sich in der Menge der versammelten CEOs und der zwei dezent im Hintergrund wartenden Vertragswächter um. Was er dort sah, waren vor allem amüsierte und gleichgültige Blicke.
„Ich denke, dieses Opfer wäre akzeptabel“, sagte Ninwata.
„Denke Sie doch nach“, versuchte Nural Nehmer an die Vernunft der anderen CEOs zu appellieren, während er unwillkürlich ein wenig zurückwich, „warum sollte Porneck das wollen? Das hat sich dieser Have-Non-Abfall doch ausgedacht!“
„Es macht aus der Perspektive des Planetenkrebses durchaus Sinn, den mächtigsten Waffenkonzern Deovans zu schwächen“, wandte Zydra ein, „das bringt Porneck in eine bessere Position und mindert sein Risiko. Ich würde an seiner Stelle ganz genauso handeln.“
„Das können Sie nicht tun“, beharrte Nural mit gespielter Entschlossenheit, „MKH ist eine etablierte Institution in Deovan, mit einem Angriff auf uns würden Sie Porneck lediglich in die Hände spielen.“
„Es gibt keine etablierten Institutionen in Deovan“, korrigierte Zevil, obwohl er selbst einem mächtigen Traditionsunternehmen vorstand, „jeder ist ersetzbar. Das ist das Wesen unserer Philosophie.“
„Pornecks Wunsch ist nicht der einzige Grund, warum niemand um MKH trauern sollte“, fügte Navin hinzu, „mir wurden zuverlässige Daten von internen Quellen zugespielt, die beweisen, dass das kürzlich erfolgte, geflechttoxische Ereignis unmittelbar von der Zentrale des Machtkomplexes der kalten Hand ausging.“
„Diese Daten sind gefälscht!“, verteidigte sich Nural, „und selbst wenn nicht, geschah das ohne Wissen und gegen die ausdrückliche Weisung unseres Aufsichtsrats.“
„Ich werde Ihnen allen die besagten Daten zusenden“, versprach Navin süffisant, „dann können Sie selbst entscheiden, ob ich die Wahrheit spreche. Aber das spielt momentan ohnehin keine Rolle. Die Zeit drängt und Pornecks Forderungen sind eindeutig. Wir müssen sie erfüllen.“
„Der Kartellwächter hat ausnahmsweise recht“, stimmte Zevil zu, „ich bin dafür, den Force Take durchzuführen. Wer noch?“
Alle außer Nural Nehmer hoben die Hände. Eine erdrückende Mehrheit in Stimmen und in Anteilen.
Nural griff in seine Jacke und hielt plötzlich eine dünne, silberne Schusswaffe mit einem ungewöhnlich breiten, trichterförmigen Lauf in seiner jugendlichen, zittrigen Hand. Drohend schwenkte er sie in Richtung der Versammelten.
„Seien Sie nicht albern“, spottete Zydra.
„Das ist keine normale Waffe“, drohte Nural so selbstbewusst wie er nur konnte, „Sie funktioniert auf Schallbasis. Ein Schuss und jeder in diesem Raum wird erst sein Gehör und dann sein Gehirn verlieren.“
„Also auch Sie selbst?“, bemerkte Zevil wenig beeindruckt.
„MKH ist mein Leben“, hielt ihm Nural entgegen, „ich bin bereit, das Risiko einzugehen.“
„Sie bluffen, alter Mann“, höhnte Ninwata.
Ein Funken Trotz flackerte durch Nurals müde Augen. Dann drückte er ab.
Immerhin gelang es ihm damit, jeden Anwesenden kurz zusammenzucken zu lassen. Sonst jedoch geschah nichts.
„Ich habe beim letzten Mal nicht gelogen“, verkündete Navin, während Nural hilflos auf seine nutzlose Waffe starrte, „ich verfüge hier über Whe-Ann Technologie.“
Nural rannte. Doch der Kartellwächter nickte den beiden Vertragswächtern, die die Versammlung bewachten zu und noch ehe die schwachen Beine des alten jungen Mannes auch nur wenige Meter hinter sich gebracht hatten, hüllten ihn zwei dicht geknüpfte Energienetze ein.
„Bis wann sollen wir Pornecks Forderungen erfüllen?“, fragte Zydra Nehmer, über die Flüche und das Flehen von Nural hinweg.
„Binnen einer Woche“, erklärte Navin, „aber je schneller es geschieht, umso besser. Natürlich wird nun niemand mehr MKH über den Force Take in Kenntnis setzen können, da Nehmer Nural vorerst unser Gast ist. Aber man weiß ja nie. Ich hörte, sie arbeiten dort an einer gefährlichen Waffe. Es wäre ungünstig, wenn sie sie zufällig bis zum Zeitpunkt unseres Angriffs marktreif bekämen.“
~o~
„Ich möchte gern einmal die gläsernen Archive besuchen“, sagte Clary euphorisch, nachdem sie den letzten Bissen ihres Joydis verschlungen hatte, „ich habe schon so viel davon gehört. Dort soll es unzählige Geschichten geben. Mehr als in jeder anderen Bibliothek oder Datenbank. Sogar nie geäußerte Gedanken und vergessene Geheimnisse soll man dort ergründen können. Das ist soo spannend. Das MUSS ich sehen. Unbedingt! Nimmst du mich dorthin mit, Chef?“
„Ich weiß nicht“, erwiderte Callan halb abwesend. Nicht nur dass er sich zunehmend beherrschen musste, den grauen, schwammigen Fleck unter seiner Kleidung nicht zu betasten, er musste auch immer wieder nach potenziellen Verfolgern Ausschau halten. Dass sich diese bisher noch nicht gezeigt hatten, machte ihn nur noch nervöser. „Keine Ahnung, ob es von hier aus überhaupt einen Direktflug zu diesen Archiven gibt“, ergänzte Callan, schon allein um weiteren Nachfragen von Clary zuvorzukommen, „wir werden besser erst mal zu dieser Reiseberatung gehen und uns dort beraten lassen. Und das so schnell wie möglich. Wir haben schon genug Zeit vergeudet.“
„Ich finde nicht, dass wir unsere Zeit vergeudet haben“, widersprach Clary, „wir haben gegessen und uns unterhalten. Das halte ich für eine sehr sinnvolle Nutzung von Zeit.“
Callan antwortete mit einem amüsierten Lächeln, das sich jedoch schnell wieder in seinem sorgenvollen Ausdruck verlor.
„Warum hast du es überhaupt so eilig?“, fragte Clary, „du schaust dich die ganze Zeit um, als würdest du von Gespenstern verfolgt.“
„Wenn es doch nur Gespenster wären …“, flüsterte Callan kaum hörbar zu sich selbst.
„Was?“, fragte Clary, die wohl über ein ungewöhnlich gutes Gehör verfügte.
„Ich hab es einfach nur eilig, das ist alles“, wiegelte Callan ab, „komm einfach mit, okay?“
„Ist das ein Befehl?“, fragte Clary augenzwinkernd.
„Ja, ist es“, antwortete Callan streng. Seine Nervosität ließ ihn langsam ungeduldig werden.
„Und was, wenn ich ihn ignoriere?“, fragte Clary herausfordernd, während sie verträumt zur Decke des Raumhafens starrte, die hin und wieder Projektionen von Planeten, imposanten Schiffen und verschiedensten Sternenkonstellationen zeigte, immer wieder unterbrochen vom Logo des Unternehmens.
Für einen Monat erwog Callan, seine Autorität spielen zu lassen. Aber irgendwie widerte ihn dieser Gedanke an. Er wollte nicht zu dem werden, was er immer verabscheut hatte, nur weil sich ein paar Zahlen auf seinem Identifier geändert hatten. Aus genau demselben Grund konnte er Clary nicht einfach mit etwas Geld ausstatten und ihrer Wege gehen lassen. Das wäre praktisch Mord gewesen. Selbst wenn er ihr eine Million Dominanten geben würde – was ihm ärgerlicherweise doch ein wenig widerstrebte – würde sie mit ihrem Mindset in spätestens zwei Wochen im Invisible Land landen. Oder in der Totenverwertung.
Es war schon absurd, aber während man das Schicksal Milliarden Fremder einfach ignorieren konnte, fiel einem dieses Kunststück schon viel schwerer, wenn man auch nur ein paar Worte mit einer Person gewechselt hatte. Zumindest dann, wenn man wie Callan mit einem Gewissen geschlagen war. Callan fühlte sich für Clary verantwortlich, aber er wollte sie zu nichts zwingen. Letztlich war sie trotz allem eine mündige Person.
„Dann trennen sich unsere Wege“, sagte Callan nüchtern, in der Hoffnung, ihr so den Ernst der Lage klarzumachen, „und du wirst mehr über deine Heimat lernen als dir lieb ist. Nichts davon wird dir gefallen. Das kann ich dir versprechen.“
Einen Moment lang blickte Clary ihn zweifelnd an, dann jedoch schlich sich ein Schatten in ihren fröhlichen Blick. Vielleicht las sie die bittere Ernsthaftigkeit seiner Worte aus Callans Gesicht oder sie hatte inzwischen doch genug erlebt, um diesem düsteren Versprechen glauben zu schenken.
„In Ordnung, Chef“, sagte Clary resigniert und zu Callans Erleichterung setzte sie sich in Bewegung.
~o~
Je mehr Zeit in diesem verfluchten Gewächshaus verstrich, desto mehr wuchs in mir die Überzeugung, dass sich Adam und Eva ganz bewusst dazu entschieden haben mussten, aus dem Paradies zu fliehen. Schon allein die Langeweile musste ihnen bedrohlicher erschienen sein als jede göttliche Strafe.
Mir jedenfalls erschien es so. Das war schon bemerkenswert, denn eigentlich war die Umgebung mit ihren üppigen Pflanzen, den köstlichen Früchten und den kleinen plätschernden Gewässern ein für deovanische Verhältnisse idyllischer und schöner Ort. Zudem muss ich eingestehen, dass ich eine Zeitlang ziemlich fasziniert von einer Entdeckung gewesen war, die ich eher zufällig gemacht hatte. Wann immer ich den Fehlstein in die Nähe eines der Gewächse brachte, begannen diese wie in Zeitraffer zu wachsen und auch die daran hängenden Früchte wuchsen schnell auf die doppelte Größe an. Schon allein, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass der Stein, der eigentlich nur eine Bürde, ein Gefängnis und – vor allem anderen – ein Faustpfand für ungeborenes Leben sein sollte, über solche Fähigkeiten verfügen könnte, versetzte mich das ziemlich in Erstaunen. Und natürlich experimentierte ich ausgiebig damit herum.
Doch auch diese Entdeckung verlor schnell ihren Reiz und die aufkommende Langeweile, wie auch die nagende Ungewissheit verdarben mir dieses Paradies gründlich. Auch meine Freude darüber, wieder einen richtigen Körper zu haben, flachte schnell ab.
Im Grunde hatte sich gar nicht so viel verändert. Ich war immer noch eingesperrt und von jemand anderen abhängig, dem – zumindest streng genommen – der Körper gehörte, den ich bewohnte. Lavell mochte dem Anschein nach ein halbwegs anständiger Verhandlungspartner, ja sogar ein möglicher Verbündeter sein, aber das änderte nichts daran, dass er mir für meinen Geschmack zu viel vorenthielt. Beispielsweise Marnoks Aufenthaltsort, meine Kataloge und den Zugang zu allem, was außerhalb dieser Kuppel lag. Nachdenklich strich ich über den Fehlstein in meiner Hand. Vielleicht war ich auch nur zu lange auf denkbar kleinstem Raum eingesperrt gewesen, um diesen Zustand noch länger ertragen zu können.
Jedenfalls musste ich hier raus, das verlangten allein schon meine Neugier und mein gesundes Misstrauen. Vor allem musste ich in Erfahrung bringen, ob Marnok noch lebte und was Lavell mit ihm anstellte. Wenn Karmon wirklich noch irgendwo in dieser furchteinflößenden Hülle steckte, konnte und durfte ich ihn nicht im Stich lassen.
Die Frage war nur, wie ich ihm helfen könnte. Ich hatte so die Vermutung, dass ich mir nicht einfach den Weg aus dem Gewächshaus freiballern konnte. Und selbst wenn dieser falsche Schattenstrahler technisch dazu in der Lage sein sollte, würden nach solch einer Aktion binnen kürzester Zeit Lavells Sicherheitsleute aufkreuzen und ich würde ihn mir ganz offiziell und endgültig zum Feind gemacht haben. Nein, dachte ich, entweder es gelang mir eine Möglichkeit zu finden, hier unbemerkt zu verschwinden und wieder zurückzukehren oder ich musste mich wohl oder übel gedulden.
Da ich keinen anderen Anhaltspunkt hatte, ging ich zu der Stelle, an der Lavell das Gebäude verlassen hatte und drückte meine Hände gegen die Kuppelwand. Das Material fühlte sich kalt und hart an wie Glas, aber es kribbelte auch an meinen Fingerspitzen. Zusammen mit einem leisen, aber wahrnehmbaren Surren bestätigte sich damit eine Vermutung, die eigentlich schon seit Lavells beinah geisterhaften Verschwinden eher eine Gewissheit gewesen war: Das hier war keine massive Kuppel, sondern ein Kraftfeld.
Als ich probeweise gegen das Glas schlug und meine Finger daraufhin ordentlich schmerzten, stellte ich jedoch fest, dass das in der Praxis keinen großen Unterschied machte. Für Lavell mochte die Wand kaum mehr sein als ein seidener Fadenvorhang, für mich aber war sie wie Panzerglas. Zudem hatte die Kuppel noch eine weitere interessante Eigenschaft. Während sie nach oben hin so transparent war, dass sie kaum vom Himmel zu unterscheiden war, war sie hier unten so trüb wie dichter Nebel, sodass ich außer ein wenig Gras und einem mit Kieselsteinen gesäumten, gepflasterten Weg nicht viel von der Außenwelt erkennen konnte. Natürlich war es durchaus denkbar, dass diese Bilder lediglich Projektionen waren und sich Lavell gerade von irgendeinem Kontrollraum aus meinen jämmerlichen Fluchtversuch ansah. Aber dieses Risiko würde ich wohl eingehen müssen, falls es mir überhaupt gelang, hier rauszukommen.
Rohe Gewalt schied als Methode zumindest aus, denn selbst als ich mit meiner geschenkten Waffe gegen das Kraftfeld schlug, ließ es sich nicht davon beeindrucken. Aber was dann? Nachdenklich nahm ich den Fehlstein in die linke Hand, wobei ich ihn mehr unwillkürlich als absichtlich als Handschmeichler missbrauchte. Für einen Moment kam mir der absurde Gedanke, all die Pflanzen mithilfe des Fehlsteins so kräftig wuchern zu lassen, bis die Kuppel allein unter dem Druck kollabieren würde. Abgesehen davon, dass auch ich das nicht überleben und unter einem Dickicht aus Biomasse zerquetscht werden würde, war der Gedanke an Lavells verblüfften Gesichtsausdruck durchaus amüsant.
Doch auch wenn dieser Plan natürlich nichts als ein albernes Gedankenspiel war, hatte er mehr Verwandtschaft mit der letztendlichen Lösung meines Dilemmas, als ich es zunächst für möglich gehalten hätte. Als ich mich nämlich leicht resigniert und frustriert über meinen ausbleibenden Einfallsreichtum gegen das Kraftfeld lehnte, spürte ich einen kühlen Luftzug an meiner linken Hand. Hatte ich da rein zufällig eine Lücke in meinem gastlichen Gefängnis entdeckt?
Um meinen Verdacht zu erhärten, untersuchte ich die betreffende Stelle gründlich, konnte jedoch keine noch so kleine Unregelmäßigkeit entdecken. Das änderte sich jedoch, als ich schließlich beide Hände zum Abtasten verwendete. Diesmal sah ich es: Sobald sich meine linke Hand der Barriere näherte, wich sie in einem etwas mehr als münzgroßen Bereich zurück. Der Fehlstein, begriff ich. Das Artefakt war anscheinend zu einer ganzen Menge mehr in der Lage als ich oder auch Lavell angenommen hatte. Als ich das Objekt nun in Zeige- und Mittelfinger nahm und es ganz absichtlich so nahe wie möglich an das Kraftfeld heranbrachte, wich dieses nicht nur zurück, ich konnte sogar meine Hand hindurchstecken, auch wenn mir der versehentliche Hautkontakt mit dem Rand des Lochs leichte Verbrennungen und ziemlich starke Schmerzen einbrachte.
Hatte ich die ganze Zeit über in einer Art Universalschlüssel gesteckt, ohne es zu ahnen? Wohl eher nicht. Das hier war trotz allem nur ein Kraftfeld und keine feste Materie und außerdem könnte meine Hand alleine dort draußen nicht viel mehr ausrichten als Lavell den Stinkefinger zu zeigen. Ein größeres Loch nämlich ließ sich auf diese Weise nicht schaffen. Zwar schlossen sich die vom Fehlstein geschaffenen Öffnungen erst circa zwei Sekunden, nachdem ich ihn entfernt hatte, aber diese Zeit würde nie und nimmer ausreichen, um eine Lücke zu schaffen, durch die ich gefahrlos schreiten konnte.
Dennoch gab mir meine Entdeckung ein wenig Hoffnung. Letzten Endes würde ich es nur schaffen müssen, die entstandenen Öffnungen irgendwie offenzuhalten. Mein Körper schied dafür aus, aber als ich es mit meiner Waffe austestete, nahm sie keinen Schaden. Dummerweise gab es hier kaum weitere Gegenstände, die ich nutzen konnte. Selbst der Tisch und die Stühle wären nicht dazu geeignet, mir einen Rahmen zu schaffen, durch den ich unbeschadet würde gehen können. Das Einzige, was es hier drin im Überfluss gab, waren Pflanzen und die wären – wie mir ein plötzlicher Geistesblitz offenlegte – wahrscheinlich alles, was ich brauchte.
Beflügelt von meinem so seltsamen wie erfolgversprechenden Plan ging ich zurück zu den üppigen Gewächsen und grub einige davon samt Wurzeln aus. Zu meinem Glück steckten sie recht locker in der Erde, wodurch mir es mir auch ohne Werkzeug gelang, die staubigen Wurzeln freizulegen.
Meine Ernte legte ich direkt vor der Kuppelwand ab, pflanzte sie eben dort nach und nach ein und brachte die Pflanzen mit dem Fehlstein so zum wachsen, dass ihre Blattspitzen direkt gegen das Kraftfeld drückten. Dann hielt ich den Fehlstein wie zuvor gegen die Barriere und schuf ein Loch, durch welches ich die Pflanzen hindurch wuchern ließ. Anders als zuvor meine Hand, schienen die Gewächse keinen Schaden zu nehmen und so kreierte ich eine stabile Öffnung, die ich mithilfe von ein wenig Druck, kreisenden Bewegungen mit dem Fehlstein und kontrolliertem Wachstum in eine improvisierte, begrünte Pforte verwandelte. Einen Moment lang betrachtete ich mein mühsam errichtetes und auf gewisse Weise auch recht ansehnliches Werk nicht ohne Stolz, bevor ich einfach hindurchging.
Das Grün, welches ich durch das Kraftfeld erblickt hatte, entpuppte sich nicht als Sinnestäuschung. Außerhalb des Gewächshauses, wartete eine kaum weniger idyllische Parkanlage, durch die eine Straße zu mehreren schlichten, aber riesigen Fabrikhallen und einem großen, mit breiten Glasfronten ausgestatteten Gebäude mit dem Logo von New Day Inc. führte. Die Pflanzenpracht war hier nicht ganz so üppig, dafür schien sich die vorhandene Botanik komplett in den Dienst der hier arbeitenden Deovani gestellt zu haben. Die lianenartigen Pflanzen boten als Unterstand Schutz vor unerwünschtem Niederschlag, führten als Brücken über kleine Flüsse, erleichterten als Treppen die Überwindung von Höhenunterschieden und luden als lebende Bänke zum Verweilen ein.
Weniger praktisch, aber dafür umso beeindruckender waren vier dicke Lianenstränge, die sich wie grüne Regenbögen in den Himmel schraubten und sich am höchsten Punkt kreuzten. Von dort schwebten manchmal kleine, silberne Früchte an propellerähnlichen Blattkonstrukten herab, die – wenn sie niemand fing oder aufhob – von der anscheinend biologisch sehr aktiven Erde fast augenblicklich verschluckt und zersetzt wurden.
Dieses an das legendäre Schlaraffenland erinnernde Phänomen waren bereits ziemlich beeindruckend, jedoch war es etwas anderes, was mir den Mund offenstehen ließ, wenn auch nicht gerade vor Verzückung.
Die Pflanzen und ich waren nicht die einzigen Lebewesen hier. Zwar sah ich nirgends irgendeinen Angestellten von New Day Inc., aber dafür gab es hier eine Reihe von vierbeinigen Geschöpfen, die nahe dem Pfad standen oder etwas ratlos hin und herliefen. Diese Wesen besaßen keinen Kopf, dafür dicke, mit schwarzem Fell bewachsene Beine und einen breiten Rücken, auf dem in einem knochigen, von stählernen Messern gesäumten Rahmen kleine Berge aus Fleisch wucherten. Kein gewöhnliches Gewebe, sondern dampfendes, wohlduftendes Fleisch mit offenbar knuspriger Kruste, so als würden diese Lebewesen – so man denn davon sprechen konnte – sich selbst bei lebendigem Leib kochen. Ich musste eingestehen, dass der Duft verlockend und köstlich war. Und dennoch – oder gerade deswegen – wurde mir davon regelrecht übel.
Es schien wirklich, als hätte New Day hier versucht, die eigene, bizarre Variante des Schlaraffenlandes zu erschaffen. Doch auch wenn mich diese Entdeckung gleichsam abstieß und faszinierte, rief ich mich innerlich zur Ordnung. Ich durfte mich nicht mit solchen Kuriositäten aufhalten. Mein Ziel war das Hauptquartier.
Erst jetzt kam mir der Gedanke, dass eine Geheimmission in der Zentrale eines High-Tech-Konzerns, ohne Zugangsberechtigung und als wahrscheinlich allseits bekanntes Versuchskaninchen, vielleicht nicht der gescheiteste Plan war, der je mein Hirn befallen hatte, doch ich hatte auch keine Lust darauf, einfach wieder in meinen überdimensionierten „Blumentopf“ zurückzukehren. Egal, wie es endete, ich würde versuchen, das hier durchzuziehen.
Also ignorierte ich die einigermaßen aufdringlichen, laufenden Fleischbuffets und hielt mich streng an den Pfad. Darauf, irgendeinen geheimen Zugang zu entdecken, brauchte ich wohl gar nicht erst zu hoffen, aber vielleicht rechnete ja niemand damit, dass ein Testsubjekt einfach zum Haupteingang hereinmarschierte, zumal es bei genauerem Nachdenken auch unwahrscheinlich war, dass jedem Angestellten mein Gesicht bekannt war. Und wenn ich mich am Empfang als interessierter Kunde ausgab, könnte ich zwar vielleicht nicht Karmon finden, aber mich wenigstens etwas in der Zentrale des Unternehmens umsehen, von dem ich nicht das geringste wusste.
Deshalb nutzte ich auch keine Deckung und schlich mich nicht heran, sondern lief gemütlich und entspannt auf dem Pfad, der auch an einem von Lianenhecken eingerahmten Parkplatz vorbeiführte, auf dem eine ganze Reihe extravaganter Fahr- und Flugzeuge mit dem Logo von New Day Inc., aber auch den Symbolen unterschiedlichster Unternehmen abgestellt worden waren. Auch wenn mich diese Entdeckung freute, da sie zumindest eine oberflächliche Erklärung für meine Anwesenheit auf einem so abgelegenen Gelände lieferte, so warf sie auch Fragen auf. Wo waren die Passagiere dieser Fahrzeuge? Und warum wurde die offensichtlich zum Flanieren eingerichtete Parkanlage nicht genutzt? Lag es daran, dass gerade keine Mittagspause war? Aber dann sollten doch zumindest ab und zu Kunden oder Lieferanten das Gelände verlassen oder betreten oder ein Außendienstmitarbeiter sollte sich zu irgendeiner geschäftlichen Erledigung aufmachen.
Ich schob dieses Phänomen auf den guten alten Zufall, behielt jedoch eine gewisse Skepsis bei, während ich mich dem Eingang der Zentrale von New Day näherte. Mein Misstrauen wuchs noch, als sich die von stählernen Sonnenstrahlen gekrönte Doppelglastür bei meiner Annäherung augenblicklich öffnete. Das war natürlich ein auch in meiner Welt nur zu bekanntes Phänomen, doch irgendwie hätte ich mit ein paar mehr Hürden gerechnet.
Dennoch trat ich ein und fühlte mich beinah erleichtert, als ich am Empfang endlich jemanden antraf, der kein laufendes Fleischbuffet war. Es handelte sich um eine sympathisch wirkende Frau in ihren frühen dreißigern, mit lila gefärbten, kinnlangen Haaren und tätowierten Sonnenstrahlen auf ihren Augenlidern. Sie zwinkerte mir einladend zu. Die Tatsache, dass sie das konnte, ließ vermuten, dass ihre Vorfahren nicht gänzlich aus Deovan stammten.
Ich trat näher.
„Einen wunderschönen neuen Tag, Trader!“, begrüßte die Frau mich mit fast sektenhafter Fröhlichkeit, „was kann ich für Sie tun?“
„Guten Tag“, antwortete ich, „mein Name ist Jenning Geber. Ich bin Chef-Einkäufer bei … Zero Gravity Inc. und wollte mich über Ihre Produkte informieren.“
„Sehr gerne, Geber Jenning“, antwortete die Frau eine Spur natürlicher, „Mein Name ist Sarina Geber und ich bin Ihnen – wie all unseren Kunden und Interessenten – gerne zu Diensten. Allerdings hätten Sie sich den Weg auch sparen können. Sie hätten diese Informationen mit einem Sprachbefehl über Ihren Identifier abrufen und uns eine Anfrage zukommen lassen können.“
Sie blickte auf meinen Ärmel, unter dem sich zwar kein Identifier, jedoch die mir von Lavell überlassene Waffe befand, was sich jedoch auf den ersten Blick kaum unterscheiden ließ.
„Unsere Produktpalette ist für jeden Trader kostenlos einsehbar“, fügte sie serviceorientiert hinzu.
„Das ist mir bewusst“, sagte ich überlegen lächelnd, auch wenn ich darüber bis zu diesem Moment überhaupt nicht nachgedacht hatte, „aber nichts ersetzt persönlichen Kontakt, wenn es um Geschäfte geht.“
„Eine sehr traditionelle Sichtweise“, erwiderte Sarina schmunzelnd.
„Es ist das Erfolgsgeheimnis meines Konzerns“, behauptete ich, „außerdem wissen wir doch beide, dass ich über meinen Identifier nicht alle interessanten Details erfahren werde. Ich will aber wirklich alles wissen, auch über die Produkte, die sich noch in der Testphase befinden. Deswegen würde ich eine kleine Präsentation ihrer Technologien sehr zu schätzen wissen. Gerne auch im Rahmen einer kurzen Führung durch Ihre Räumlichkeiten. Es wird sich für Sie lohnen. Wir sind bereit, eine Menge zu investieren, wenn wir etwas entdecken, in dem wir Potenzial sehen.“
Während ich das sagte, musste ich mich beherrschen, nicht über mich selbst laut loszulachen. Was ich tat und sagte, war natürlich vollkommen lächerlich. Allerdings war es schon in meiner Welt eine hervorstechende Eigenschaft vieler Führungskräfte und leitender Angestellter, dass ihre Kompetenz im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu ihrem Selbstbewusstsein stand. Wenn ich nur arrogant und selbstverliebt genug rüberkäme, MUSSTE man mir meine Rolle einfach abkaufen.
„Selbstverständlich, Geber Jenning“, sagte Sarina, erhob sich von Ihrem Stuhl und gesellte sich zu mir, „allerdings kann ich das nicht alleine entscheiden. Ich habe nicht die nötige Sicherheitsfreigabe für alle Abteilungen, die für Sie von Interesse sind.“
Fuck, dachte ich, wenn sie jetzt Lavell rief, wäre mein Vorhaben grandios gescheitert.
„Dafür muss ich erst Nehmer Gornis konsultieren, den Leiter unserer Verkaufsabteilung. Wenn Sie mir bitte folgen würden“, fuhr Sarina fort.
Ich nickte erleichtert. Natürlich war es eher unwahrscheinlich, dass ich diesen Gornis um den Finger wickeln konnte. Aber vielleicht gelang es mir ja doch und selbst wenn nicht, würde ich zumindest ein etwas besseres Bild von dem Konzern bekommen, dem Lavell vorstand.
Während ich der Konzernangestellten durch die Flure folgte, konnte ich zumindest schon die ein oder andere Information aufschnappen. Wie ich anhand meiner Erlebnisse im Park schon vermutet hatte, handelte es sich bei New Day Inc., um einen Konzern, der unter anderem im Bereich der Biotechnologie aktiv war. Die Wände waren gespickt mit Bildern und Infotafeln zu verschiedensten Tieren und Pflanzen, die für den Dienst als Baumaschinen, Nahrungsmittel, Personenschutz, Transportmittel, Dekoration oder Reinigungskräfte optimiert waren. Einige der Informationen schlüsselten den Genpool der teils bizarren Kreaturen auf und enthüllte, dass darin einheimische und außerirdische Tier-, Pilz- und Pflanzenarten, aber auch Genmaterial von Deovani, Bravianern und anderen intelligenten Spezies enthalten war. Ich hoffte dabei sehr, dass es sich lediglich um irgendwelche geklonten Stammzellen oder dergleichen handelte. Alles andere wäre wirklich widerlich gewesen. Allerdings würde ich auch Experimente an lebenden Wesen nicht ausschließen. Was ich hier sah, ließ nicht unbedingt auf viele Skrupel, wohl aber auf einen unbändigen Entdeckergeist und noch größeres Profitstreben schließen.
Neben diesem grotesken Zoo, gab es aber auch Werbetafeln für die Energieproduktion, die für die hocheffektive „Gagitsch-Energie“ warb, welche laut prominent platzierten Gütesiegeln ohne „Geflechtenergie“ auskäme. Auch wenn ich mich bei diesem Hinweis an ein Ökostrom-Siegel erinnert fühlte, hatte ich bei dieser Sache fast noch ein mieseres Gefühl als bei der Freakshow, die mir bisher präsentiert worden war.
„Anscheinend lesen Sie doch ganz gerne“, bemerkte Sarina, der mein Interesse nicht entgangen war, „man könnte fast meinen, Sie entdecken unsere Produktpalette zum ersten Mal.“
„Ich bewundere lediglich Ihr Design“, erwiderte ich, „ich muss zugeben, dass Ihre Bioingenieure hervorragendes geleistet haben.“
„Danke“, erwiderte Sarina, „aber wenn Sie nicht dieser Meinung gewesen wären, hätten Sie sicher auch nicht den langen Weg auf sich genommen.“
Die schnippische Art der Frau gefiel mir. Sie war erfrischend unangepasst für so eine Welt, in der einen ein falsches Wort zu der falschen Person schnell in den Abgrund stürzen konnte. Dennoch machten mich ihre Reaktionen etwas nervös. Ich bekam immer mehr den Eindruck, dass sie sich lediglich einen Scherz mit mir erlaubte. Aber selbst, wenn das so war, wäre es vielleicht nicht so tragisch. Allein diese Tafeln hatten mir mehr über New Day verraten als ich hätte hoffen können und wenn sie mich bei Lavell verpfiff, würde er mich sicher nicht großartig bestrafen. Immerhin brauchte er mich noch, mein Körper war wertvoll, und ihm oder seinem Konzern war durch meinen Ausbruch ja auch kein ernsthafterer Schaden entstanden. Selbst das Kraftfeld würde sich bestimmt wieder schließen, wenn man die verpflanzten Gewächse daraus entfernte. Andererseits sollte ich vielleicht auch nicht den Fehler machen, deovanische Superreiche für nachsichtig und verständnisvoll zu halten.
So oder so war es jetzt zu spät umzukehren.
„Wir sind da“, erklärte Sarina, als wir vor einer unscheinbaren, silbergrauen Tür ankamen und öffnete diese. In dem Raum dahinter, befanden sich zwei von Pflanzen eingerahmte, grüne Sessel und ein Tisch mit wahrscheinlich digital projizierten Infobroschüren. An den Wänden gab es noch eine Tür, einen ausgeschalteten Monitor, einige weitere Info- und Werbetafeln, sowie eine klassische, analoge Uhr, die recht irdisch anmutete, wenn man davon absah, dass innerhalb des verglasten Objekts eine Art grell leuchtendes Plasma glühte, über dem schattenhafte Zahlen und Zeiger lagen. Diese Uhr mehr als nur ein oder zwei Sekunden anzusehen, brannte in den Augen. Dennoch konnte ich erkennen, dass es darauf etwa viertel nach vier war. Von irgendwoher klang eine leise, beruhigende Musik, gesungen in einer Sprache, die ich nicht verstand.
„Nehmer Gornis wird in Kürze hier sein. Bitte warten Sie hier so lange“, sagte Sarina und deutete auf den rechten Sessel.
„In Ordnung“, sagte ich und ließ mich auf dem Möbelstück nieder. Es war so weich und federnd, dass ich meine Meinung revidierte. Die Pflanzen waren nicht nur Dekoration, sondern wahrscheinlich der Ursprung der Sitzgelegenheiten. Lavell und seinem Konzern schien es zu gefallen, mit ihren Entwicklungen zu protzen. Entwicklungen, von denen auch ich nun eine war.
Sarina nickte mir zufrieden zu, verließ den Raum und schloss die Tür. Dabei hörte ich ein verdächtiges Klacken und war mir fast sicher, dass sich die Tür gerade hinter ihr abgeriegelt hatte. Ich verzichtete jedoch darauf, das zu überprüfen, mich darüber zu beschweren oder panisch gegen die Tür zu hämmern. Ich glaubte nicht, dass das irgendwas geändert hätte und ich glaubte auch nicht, dass man vorhatte, mich auf ewig hier einzusperren. Früher oder später würde entweder Gornis oder Lavell höchstpersönlich hier auftauchen. Die Zeit bis das geschah, sollte ich besser gut nutzen, um mich umzusehen und mich vorzubereiten.
~o~
„Was zur Hölle …“, sagte Callan fassungslos, als er inmitten der Masse an Passanten das erste Mal den Stand von Endless Horizons entdeckte – einem kompassnadelförmigen Tresen in einem schillernden Dschungel mit plätschernden Wasserfällen, in deren Wasser kleine Planeten wie Sterne glitzerten.
„Was ist los?“, fragte Clary, der die drei Männer und fünf Frauen, die wie zufällig um den nur spärlich besuchten Stand des Reisebüros gruppiert standen, nicht weiter verdächtig vorkamen. Sie trugen die Waffen, die sie ohne Zweifel besaßen, nicht offen. So plump waren sie nicht, vielleicht auch nur, weil die Geschäftsbedingungen von Right Flight das untersagten, so wie ihnen wahrscheinlich auch die Nutzung der konzerneigenen Gesichtserkennung untersagt worden war. Andernfalls hätte man ihn wohl schon längst aufgegriffen. Callan fiel es aber auch ohne Waffen nicht schwer zu erkennen, um wen es sich bei diesen Leuten handelte. Immerhin trugen sie vorgeschriebenen Uniformen von Executioners und diesen wurde immer das Logo ihres Unternehmens aufgeprägt. In diesem Fall war es ein Hochhaus in einem Kreis.
„Wir müssen hier weg“, zischte Callan, der irgendwie nicht daran glaubte, dass es sich um wohlmeinende Unterhändler handelte, die ihn zu seinem Erbe beglückwünschen wollten, „sofort!“
„Warum das denn?“, fragte Clary verwirrt, „erst kannst du es kaum erwarten zu dieser Reiseberatung zu kommen und dann …“
„Sofort!“, wiederholte Callan noch nachdrücklicher und ergriff Clarys Hand.
„Hey!“, beschwerte ich Clary, „ich kann selber laufen!“
„Dann tu es auch, verdammt!“, zischte Callan und drehte sich nervös zu den Executioners am Stand um. Eine von ihnen, die er anhand des roten Streifens an den Ärmeln ihrer Uniform als ihre Anführerin ausmachte, erwiderte seinen Blick. Ein Kommando wurde gerufen, so leise, dass er es nur an ihren Mundbewegungen erkennen konnte und dennoch wusste Callen, dass er geliefert war. Er hätte nicht so lange zögern, sondern direkt in ein Schiff steigen und irgendwo hinfliegen sollen. Ganz egal wohin, Hauptsache weg.
„Lauf!“, sagte er noch einmal zu Clary, ohne sich zu vergewissern, dass sie ihm auch tatsächlich folgte. Letztlich war sie für sich selbst verantwortlich. Immerhin waren sie hier in Deovan. Kaum jedoch, da er diesen Gedanken gedacht hatte, schämte er sich so sehr, dass er sich praktisch gezwungen fühlte, sich umzudrehen. Als er es tat, stellte er erleichtert fest, dass Clary keuchend hinter ihm her rannte. Leider war sie seinen verbesserten körperlichen Fähigkeiten aber nicht gewachsen, wodurch sie genauso hinter ihn zurückfiel, wie die Executioners. Das bereitete ihm Sorgen. Natürlich war es unwahrscheinlich, dass die Vollstreckte von Rise sich für irgendeine Blue Mind interessieren würden, andererseits hatten sie sicher gesehen, dass sie zusammen unterwegs gewesen waren und dummerweise hatte er ihr praktisch einen winzigen Teil des Vermögens von Rise überwiesen. Denn wenn Devells Erbe an ihn nicht anerkannt werden sollte, würde das Geld automatisch an den Aufsichtsrat des Unternehmens fallen.
„Fuck!“, sagte Callan und drosselte sein Tempo ein wenig. Dabei nahm er jedoch weiterhin keine Rücksicht auf die Passanten, die ihm im Weg standen, sondern stieß sie einfach mit dem Ellenbogen weg. In einem irdischen Flughafen hätte ihn das vielleicht verdächtig aussehen lassen, doch in Deovan waren das völlig normale Umgangsformen. Die meisten würden ihn für einen gewöhnlichen Geschäftsmann halten, der entschlossen war, seinen Flug nicht zu verpassen.
„Warum rennen wir überhaupt?“, fragte Clary, die ihn nun endlich erreicht hatte, atemlos.
„Diese Leute wollen mich gefangen nehmen. Vielleicht auch töten“, vereinfachte Callan den Sachverhalt. Im Grunde wusste er es nicht einmal genau. Es war auch nicht ganz ausgeschlossen, dass sie ihn lediglich zwingen wollten, seinen Posten als CEO anzutreten, aber das käme für ihn ebenfalls einer Gefangenschaft gleich.
„Warum sollte jemand so etwas tun wollen?“, fragte Clary verwundert.
„Weil das hier ein rücksichtsloses Drecksloch voller Egofucker ist!“, entfuhr es Callan, der gerade keine Geduld für Clarys Naivität hatte.
Auch ohne sie anzusehen, glaubte er etwas in der jungen Frau zerbrechen zu hören.
„Aber … aber wohin willst du überhaupt. Du musst doch ein Ziel haben“, stotterte Clary und Callan sah sowohl Schweiß als auch Tränen in ihrem Gesicht, als er sich kurz umdrehte. Dabei entdeckte er, dass die Einsatzkräfte von Rise den Abstand auf vielleicht zwanzig Meter verringert hatten. Gute Schussdistanz. Sie hätten ihn und auch Clary problemlos wegmähen können. Die Passanten stellten grundsätzlich kein Hindernis dar, denn er war sich ziemlich sicher, dass Rise für seine Executioners eine Mordversicherung abgeschlossen hatte. Das ließ nur zwei Erklärungen zu. Entweder, sie wollten ihn lebend oder sie hatten von Right Flight tatsächlich keine Erlaubnis erhalten, Schusswaffen einzusetzen und potenzielle zahlungskräftige Kunden zu gefährden. Das beruhigte ihn aber kaum. Er würde nicht ewig weglaufen können. Das Gebäude war groß, aber nicht unendlich.
Dass dem so war, zeigte sich bereits wenige Momente später überdeutlich. Denn zu seinem Erschrecken stellte Callan fest, dass sie nun wieder den jenen Bereich des Gebäudes erreicht hatten, in dem sich der Haupteingang und der Recreation-Room befanden. Von hier aus konnten sie nur noch eine der gewaltigen Rolltreppen zu den Raumplattformen besteigen oder umdrehen. Und letzteres machten die Executioners, die nicht nur aufgeholt, sondern sich auch über die ganze Breite des Korridors verteilt hatten, praktisch unmöglich.
Theoretisch könnte er versuchen zwischen ihnen hindurchzuschlüpfen, aber das würde ihm auch nicht viel bringen. Selbst wenn ihm dies gelänge, wäre das kein dauerhafter Ausweg. Ohnehin ging Callan aber davon aus, dass sie entweder Devillium oder ein vergleichbares Hilfsmittel bei sich haben und ihn wie eine Fliege im Netz fangen würden, sobald er auch nur in ihre Nähe käme.
Eine Flucht hinaus auf die Straßen von Deovan wäre natürlich ebenfalls möglich, aber dort galten die Einschränkungen, die für ihre Verfolger möglicherweise hier bei Right Flight bindend waren, nicht. Gut möglich, dass dort Verstärkung auf sie warten würde, die keine Skrupel haben musste sie niederzumähen oder zumindest zu betäuben und wer wusste schon, was Rise dann mit ihm und Clary anstellen würde?
Zu einer der Plattformen zu eilen und das nächstbeste Raumschiff zu besteigen, wäre wohl ihre beste Chance auf eine Flucht. Doch dann mussten sie natürlich nehmen, was sie kriegen konnten und konnten sich ihr Reiseziel nicht aussuchen.
„Ich habe kein Ziel … ich will einfach nur weg …“, antwortete Callan gehetzt und verspätet auf Clarys Frage und blickte sich zu seinen Verfolgern um. Sie hatten noch weiter aufgeholt. Und eine von ihnen mehr als die anderen: die Truppführerin, deren Körper sicher stärker optimiert war als der der anderen Executioners. Sie trennten jetzt nur noch wenige Meter und Passanten. Callan legte wieder an Tempo zu, schleifte Clary gnadenlos hinter sich her und widerstand der Versuchung seinen Pinpointer zu ziehen und sich damit auch noch zur Zielscheibe der Sicherheitskräfte von Right Flight zu machen.
„Das ist unmöglich“, widersprach Clary atemlos, „jeder hat ein Ziel!“
„DAS HABE ICH AUCH, VERDAMMT!“, polterte Callan, dessen Nerven an ihrer Belastungsgrenze angekommen waren, „mein Ziel ist es, nicht draufzugehen!“
„Das will ich ja auch nicht“, erwiderte Clary zitternd und offenbar etwas eingeschüchtert, „aber wir brauchen trotzdem einen Plan. Sich einfach nur irgendwo hinzuwünschen, wäre naiv!“
Trotz ihrer Lage war Callan kurz davor, aufgrund der Absurdität dieser Aussage laut loszulachen. Diese Blue-Mind-Göre warf tatsächlich IHM Naivität vor.
„Genau dort werden wir aber hinmüssen, Clary“, keuchte Callan und steuerte so abrupt auf die Treppe zu, dass Clary beinah ausgerutscht werde „ins Irgendwo. Nach Scheißegalien, in irgendein verfluchtes Drecksloch zu dem uns gerade ein Flug offensteht. Wenn ich mich in diesem Moment nach Rihn oder … Cestralia teleportieren könnte, würde ich es tun. Aber das geht nun mal nicht. Selbst dann nicht, wenn uns Rise nicht auf den Fersen wäre. Also wird es ein verficktes Glücksspiel. Wie immer.“
„Cestralia“, wiederholte Clary nachdenklich und Callan gewann so langsam den Eindruck, dass jeder Freak im gesamten Multiversum über diesen Ort Bescheid wusste. Jeder Freak, außer ihm, „ich hab von diesem Ort gelesen, man kann …“
„Erzähl es mir später“, unterbrach er Clary, auch wenn ihn die Neugier beinah umbrachte, „jetzt heißt es Fresse halten. Und rennen!“
Dann preschte er rücksichtslos zwischen zwei bravianischen Touristen hindurch, quetschte sich zusammen mit Clary auf eine der drei nächstgelegenen Rolltreppe und drängte sich zwischen die dicht stehenden Passanten. Dabei stellte er fest, dass die meisten seiner Verfolger eine der anderen Treppen wählten und für einen Moment hoffte er tatsächlich, sie abgehängt zu haben. Er täuschte sich.
~o~
Als Erstes sah ich mich in dem kleinen Raum nach Kameras um. Ich konnte keine entdecken, was aber natürlich in einer technologisch so fortgeschrittenen Gesellschaft nicht viel bedeuten musste. Danach prüfte ich die Tür auf der anderen Seite, die sich wenig überraschend als verschlossen erwies und lauschte kurz daran, ohne irgendetwas hören zu können. Womöglich lag das auch an der zwar leisen, aber irgendwie auch penetranten Musik, die hier wie ein akustischer Nebel durch den Raum geisterte.
Immerhin machte ich deren Quelle recht schnell aus. Sie lag nicht in irgendwelchen Boxen, sondern in zwei winzigen, dunkelbraunen, grob gurkenförmigen Kreaturen, die fast nur aus einem singenden Mund bestanden. Die kleinen Biester waren mit organischen „Kabeln“ an der Wand befestigt worden, die wahrscheinlich ihrer Versorgung dienten. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, welche abartigen Experimente zur Schaffung dieser lebendigen Musikanlagen geführt haben mochten, aber ich fand sie zu gleichen Teilen albern, unnötig und abstoßend. Lavell mochte recht vernünftig wirken, aber wenn er solche Entwicklungen unterstützte, musste in seinem Hirn dennoch so einiges schieflaufen.
Ansonsten gab es in dem Raum nicht viel Bemerkenswertes zu entdecken. Auf die allzu genaue Betrachtung der Uhr verzichtete ich schon allein zum Wohle meiner brandneuen Augen und die Infotafeln entpuppten sich bis auf eine Ausnahme – eine Beschreibung einer lebendigen, automatisch agierenden Angelschnur – als Wiederholungen derjenigen, die ich bereits auf dem Flur entdeckt hatte. Auch die Infobroschüren waren nicht viel informativer.
So blieb mir nur Warten und je länger ich das tat, umso unwohler fühlte ich mich dabei. Inzwischen war ich mir gar nicht mehr so sicher, über den Grund für meine Einkerkerung in diesem Raum. Vielleicht war Lavell ja doch so angepisst über meinen Ausbruch aus seinem Gewächshaus, dass er mich schlicht hier drin würde verhungern lassen. Wer zu solchen absurden Schöpfungen in der Lage war, hatte sicher nicht allzu viel Respekt vor der Gesundheit und dem Wohlergehen seiner „Produkte“.
Mit meiner wachsenden Ungeduld traute ich mich nun doch, etwas häufiger auf die eigenartige Uhr zu blicken. Neben trockenen und geröteten Augen brachte mir das auch die Erkenntnis ein, dass ich bereits eine geschlagene Stunde hier verbracht hatte und meine Befürchtung, dass Lavell mich hier einsperren wollte, bekam neue Nahrung, auch weil ich mich nun doch vergewissert hatte, dass die Eingangstür versperrt worden war. Gleichzeitig begann diese repetitive, dudelnde Musik gehörig an meinen Nerven zu nagen.
„Seid still, verdammt!“, schrie ich die genetisch gezüchteten Sänger an und als sie daraufhin sogar noch etwas lauter sangen, eilte ich zur Wand und riss erst den einen und dann den anderen von ihnen aus der sie beherbergenden Vertiefung und zertrampelte ihre kleinen, plärrenden Körper zu Brei. Nun, da endlich Stille einkehrte, wurde mir erst bewusst, was ich getan hatte und ein heftiges Schuldgefühl durchzuckte mich. Abgesehen davon, dass mir die Beschädigung seiner Kreaturen wahrscheinlich keine Pluspunkte bei Lavell einbrachte, erschreckte mich das Ausmaß an dunklen Impulsen, das noch immer in mir wohnte. Ich versuchte mich damit zu trösten, dass die Existenz dieser Wesen wahrscheinlich eine Qual gewesen war und kam zu der Überzeugung, dass es nun wirklich an der Zeit wäre, über einen Fluchtplan nachzudenken, als ein leises Geräusch in die Stille hineinplatze.
Es war ein kratzendes, schabendes Geräusch, welches von irgendwo über mir kam. Als ich zur Decke hinaufsah, erblickte ich einen feinen, bräunlichen Faden, der sich wie ein überdimensioniertes Spinnenbein durch die Decke schob, sich von dort löste und einfach in der Luft stehen blieb.
Beinah mehr fasziniert als beunruhigt, sah ich dabei zu, wie sich ein weiterer, ähnlicher Faden der Schwerkraft trotzend aus dem Boden herausarbeitete und sich mit dem ersten verband.
Kurz darauf schnellten ein dritter, ein vierter und ein fünfter aus den Wänden hervor, wobei letzterer sich nur knapp an meinen Sessel vorbeibewegte, und schlossen sich der Verbindung an. Nervös und etwas ratlos blickte ich mich um, während das Bombardement an Intensität zunahm und die Konstruktion in der Mitte des Raumes immer weiter an Größe gewann. Was zur Hölle passierte hier? War das eine Falle gewesen? War das eine Strafe? Oder meine Hinrichtung?
Ohne zu wissen, was genau mir hier drohte, feuerte ich eine Salve aus meiner neuen Armwaffe auf den inzwischen etwa seildicken Strang ab. Schon meine Mutter hatte mir beigebracht, kleine Probleme besser direkt zu lösen, bevor sie zu großen werden konnten. Ich folgte diesem Rat und verspürte durchaus Genugtuung, als die Kompassnadeln einen breiten Riss in dem Gebilde verursachten. Bevor ich jedoch zu einer zweiten Salve ansetzen konnte, verspürte ich einen grauenhaften Schmerz in meinem linken Fuß und knickte ein. Als ich versuchte, die Quelle des Schmerzes ausfindig zu machen, entdeckte ich ein kleines, aber folgenschweres, blutendes Loch in meinem linken Knöchel. Irgendwie war es einem der verfluchten Schnüre gelungen, meine Achillessehne zu durchtrennen.
Humpelnd und mit zusammengebissenen Zähnen wand ich mich von meinem Gegner ab und feuerte stattdessen auf die Eingangstür, in der Hoffnung, mir so eine Fluchtmöglichkeit zu eröffnen. Doch die Patronen prallten einfach ab und fielen wirkungslos zu Boden. Ich versuchte es an der anderen Tür und erhielt dasselbe Ergebnis.
Frustriert suchte ich Deckung hinter dem Sessel, da mir aufgefallen war, dass einzig aus jener Wand, in der bis vor kurzem noch die lebenden Lautsprecher gesungen hatten, keine neuen Komponenten dieser grotesken Missgeburt zu entspringen schienen.
Endlich wieder halbwegs aus der Schusslinie, wandte ich mich wieder der im Aufbau begriffenen Kreatur zu, die ihre von mir verursachten Verletzungen inzwischen allesamt geheilt hatte. Mehr noch: zu ihrem mittlerweile armdicken Torso hatten sich inzwischen ein kleiner, etwa doppelt so breiter Kopf, zwei rudimentäre Ärmchen und zwei stelzendünne Beine gesellt.
Beine, die sich nun rasch auf mich zu bewegten. Ich versuchte mein Feuer auf eben jene Extremitäten zu konzentrieren, doch leider war es nicht so einfach, so kleine Ziele zu treffen. Ich wich so weit zurück, wie ich konnte, ohne meine Deckung zu verlassen und entschied mich, auf den sich ausbildenden Kopf der Kreatur zu zielen, in dem gerade Mund und zwei kleine Augen entstanden.
Das erwies sich als keine allzu gute Idee. Zwar fügte ich diesen Öffnungen damit noch ein paar weitere hinzu, aber leider entgingen mir so die dünnen, langen Arme, die sich erbarmungslos in meine Brust drückten. Mannigfaltiger Schmerz durchfuhr mich, aber irgendwie gelang es mir dennoch, das Wesen mit einem Kniestoß auf Abstand zu bringen, auch wenn mein verletzter Fuß dabei heftig protestierte. Ich sah an mir herab und entdeckte dutzende von kleinen, blutenden Löchern in meinem Oberkörper. Schwindel befiel mich, das Atmen fiel mir schwer und ich ahnte, dass das hier mehr waren als nur harmlose Wunden.
Doch statt in Panik zu verfallen, schaltete sich in mir ein Überlebensprogramm ein, wie es zuletzt im Kampfgetümmel der Schlacht von Uranor von mir Besitz ergriffen hatte. Mein Gehirn präsentierte mir einen willkürlich scheinenden, absurden Einfall und mein Körper griff danach. Ohne über die Möglichkeit und Unmöglichkeit meines Vorhabens nachzudenken, löste ich die störende Waffe von meinem Arm, sprang auf den Tisch, riss die seltsame „Sonnenuhr“ aus der Wand und richtete sie gegen das Wesen wie ein Priester gegen einen Vampir. Auch wenn ich lediglich den wahrscheinlich isolierten Rahmen der Uhr umfasste, hatte ich das Gefühl mir die Hände an heißen Eisenstäben zu verbrennen.
Aber das war es wert. Der Kopf und der Körper der Kreatur begannen zu schmelzen, ja regelrecht zu verdampfen und anders als meine Schüsse, schienen die Strahlen der Uhr nachhaltigen Schaden bei ihr anzurichten.
Jedenfalls so lange, bis sich die zuckenden Gliedmaßen des sterbenden Wesens um meine Füße wickelten und mich mit einem kräftigen Ruck zu Fall brachten. Die schwere, heiße Uhr fiel mit einem lauten „Klong“ auf den Boden und das Adrenalin überdeckte nicht länger die lähmenden Schmerzen in meinem verletzten Fuß.
Entsetzt sah ich dabei zu, wie sich die unversehrten Reste des Wesens zusammenrauften und auf mich zukrochen. Kaum fähig, mich hochzukämpfen, stellte ich fest, dass meine Waffe außer Reichweite lag. Doch selbst, wenn es anders gewesen wäre, hätte das wohl nicht viel verändert. Die Extremitäten de Wesens hatten sich zwar von mir zurückgezogen, um dem verletzten Geschöpf als Fortbewegungsmittel zu dienen, jedoch nicht, ohne vorher tief ins Fleisch meiner Knöchel zu schneiden. Und meine mir erst vor wenigen Stunden geschenkten Hände sahen aus, als hätte ich sie abwechselnd in einen Industrieofen, eine Mikrowelle und einen Vulkan gehalten. Dort wo das Fleisch nicht pechschwarz verkohlt war, war es krebsrot, glasig, voller wässriger Blasen und verschmiert mit Eiter und Blut. Dass ich damit noch irgendeine Waffe würde halten können, bezweifelte ich stark.
„Lavell“, sagte ich hysterisch lachend, während die halb geschmolzene Monstrosität stoisch auf mich zukroch, bereit ihr begonnenes Werk zu vollenden, „ich möchte mich wirklich über Ihre Unternehmenskultur beschweren. Sie haben hier nicht einmal Kaffee und Ihre Mitarbeiter sind ein wenig … übergriffig.“
Inzwischen hatte das Wesen die Uhr erreicht, die sich halb durch den Boden gebrannt hatte und machte einen weiten Bogen um das Hindernis. Das verschaffte mir etwas Zeit. Mit dem unschönen Nachteil, dass es nichts gab, was ich in dieser Zeit unternehmen konnte, außer mich dem Unvermeidlichen zu stellen. Dass dieses Unvermeidliche der Tod war, hielt ich damals natürlich noch für möglich, auch wenn uns beiden klar sein sollte, dass mich dieses Schicksal bis heute nicht endgültig traf. Aber vor dem Tod hatte ich damals keine wirkliche Angst mehr. Es war – spätestens seit meiner Zeit in Hyronanin – nicht die ewige Stille, sondern die Schmerzen, die Qualen, das Grauen, das ich fürchtete und davon hatte diese absurde Labornachgeburt sicher noch eine Menge für mich im Gepäck.
„Hey, Gornis, Sie Pisser! Ihre Unpünktlichkeit ist höchst unprofessionell!“, rief ich mit heiserer Stimme, „wenn Sie nicht gleich auftauchen, werd` ich mich bei Ihrem Chef beschweren!“
Ungeachtet meiner Lage musste ich lächeln. Die Leute mochten sagen, was sie wollten, aber es ging nun mal nichts über Galgenhumor, wenn man sich mit vollkommener Hoffnungslosigkeit konfrontiert sah.
Just in diesem Moment sprang die Tür auf. Es war jedoch nicht die Eingangstür, sondern jene an der gegenüberliegenden Wand und sie spuckte auch nicht Gornis, Lavell oder Sarina aus, sondern einen altbekannten, düsteren Koloss.
„Marnok?!“, fragte ich und glaubte fast in irgendeiner Art Delirium festzustecken.
Doch wenn dem so war, so bot es mir wenigstens eine amüsante Show, denn der Kwang Grong bückte sich unter der zu kleinen Tür hindurch und schoss den Schattenstrahler in seiner Brust auf das Geschöpf ab. Es mag sein, dass auch das eine Halluzination gewesen war oder das Ergebnis irgendeines chemischen Prozesses, aber als die pechschwarze Energiekugel in das kriechende Geflecht aus organischen Gewebefäden einschlug, glaubte ich, einen spitzen Schrei zu hören, wie ich ihn nicht mal bei meiner Attacke mit der Sonnenuhr vernommen hatte. Doch der Kwang Grong gab sich nicht mit dem angerichteten Schaden zufrieden, stapfte auf die sterbende Kreatur zu, zertrat sie mit seinen scharfzehigen Füßen und saugte jenen intakten Geweberesten, die entkommen wollten, kurzerhand jegliche Flüssigkeit aus, sodass nichts als verdorrte, tote Aschehäufchen davon zurückblieben.
„Du irrst dich, Grong-Shin“, sagte die Gestalt mit einer eindeutig veränderte Stimme und sah mich mit ihren hypnotischen Augen an, „ich bin nicht der Seeelenfresser. Ich bin Karmon.“
Erleichterung und Freude kämpften einen erfolgreichen Kampf gegen die Schmerzen in meinem Körper. War das wirklich möglich? Hatte Lavell die Seele des Grong-Shin wiederhergestellt und Marnok die Herrschaft entzogen? Aber wenn er die Wahrheit gesprochen hatte, warum sollte er dann erst ….
„Fantastisch! Wirklich fantastisch!“, brach Lavells aufgeregte Stimme in meine Gedanken, begleitet von langsamem Applaus, „sie beide sind ein unschlagbares Team. Geber Adrian, Ihr Einfall mit der Uhr war grandios, und wie sie es geschafft haben, aus dem Gewächshaus zu fliehen, war ebenfalls mehr als nur bewundernswert. Aber Sie müssen zugeben, dass die Kraft und Entschlossenheit Ihres Kwang Grong ihresgleichen suchen. Unserem Filamenace sind schon zwanzigköpfige Einsatzteams zum Opfer gefallen und sie haben die Entität zu zweit erledigt. Dieser beachtliche Erfolg und die köstliche Darbietung entschädigen hundertfach für die entstandenen Schäden.“
„Sie … sie hatten das alles geplant?!“, stellte ich ungläubig fest, auch wenn ein Teil von mir natürlich nicht wirklich überrascht war.
„Sagen wir, ich hatte es einkalkuliert“, erwiderte Lavell grinsend, „sie hätten selbstredend einfach bis morgen in ihrem komfortablen Glaskäfig ausharren und die paradiesische Atmosphäre genießen können, aber ich ahnte natürlich, dass ihre Neugier und ihr Forscherdrang das nicht zulassen würden. Sie sind ein Fortgeschrittener, kein Stubenhocker. Warum also nicht die Gelegenheit nutzen, ihren Körper in Aktion zu erleben?“
„War Sarina auch eingeweiht?“, fragte ich schwer atmend, auch wenn ich mir meinen Teil denken konnte. Trotz all der Schmerzen war ich vor allem wütend, jedoch weniger auf Lavell, denn auf mich selbst. War ich wirklich so berechenbar?
„Natürlich“, sagte Lavell nickend, „und sie hat sich sehr über ihre miserable Darbietung als Konzern-Einkäufer amüsiert. So viel ist sicher: als verdeckter Agent wären Sie ein Totalausfall. Zum Glück wird unsere Operation bei MKH eher ein Frontalangriff.“
„Ich fürchte, ich tauge nicht mal mehr zum Händeschütteln“, sagte ich mit einem bitteren, schmerzverzerrten Halblächeln und hob meine eitrigen, verbrannten Hände, „Geschweige denn zu einem Frontalangriff.“
„So ein Unsinn“, widersprach Lavell, „Ihre Wunden werden heilen. Ganz von selbst. Nicht so schnell wie bei einem Supernehmer, aber bis morgen Abend sind sie wieder ganz der Alte. Gerade rechtzeitig für unseren Angriff.“
„Fantastisch“, sagte ich stöhnend, „hätten Sie vielleicht auch ein Schmerzmittel für mich?“
Lavell verzog skeptisch das Gesicht. „Das hätte ich“, antwortete er, „eine ganze Palette sogar. Aber die billigen würden über Tage Ihre Kampfkraft schwächen und die besseren wären mir einfach zu teuer. Ich habe bereits eine Menge in Sie investiert, Geber Adrian. Auch jemand wie ich muss seinen Return-on-Investment im Auge behalten. Seien Sie so gut, kehren Sie in das Gewächshaus zurück, beseitigen Sie das Chaos, dass sie dort veranstaltet haben und nutzen Sie einfach die Zeit Ihrer Genesung, um sich mit Ihrem alten Freund zu unterhalten. Erinnerungen an gute Zeiten können auch schmerzlindernd sein. Und sie kosten nichts.“
Ich wollte widersprechen, aber ich kam zu dem Entschluss, dass das nichts bringen würde. Im Grunde hatte ich mir meine Lage ja selber eingebrockt und außerdem war ich wirklich sehr froh darüber, Karmon zurückzuhaben, auch wenn ich noch immer recht glauben konnte, dass das wirklich stimmte. Aber das würde sich ja feststellen lassen. Fürs Erste rang ich mich zu einem Nicken durch und versuchte mich zu erheben, was mir nur gelang, weil Karmon mir seine Arme unter die Achseln schob und mich auf die Beine zog. Mit der Hilfe des Symbionten arbeitete ich mich zur Tür vor und passierte Lavell, der mich stumm passieren ließ.
„Eine Frage hätte ich noch“, sagte ich zu dem CEO von New Day und drehte mich noch einmal zu ihm um.
Lavell nickte ermutigend.
„Warum zur Hölle haben Sie eine solche Uhr in ihrem Büro? Das Ding gefährlich zu nennen, wäre ja wohl eine Untertreibung.“
Lavell schien kurz nachdenken zu müssen, bevor er antwortete. „Diese Uhr ist eine Demonstration der technologischen Fähigkeiten von New Day Inc. und da wir sehr stolz auf unsere Entwicklungen sind, leisten wir uns gerne gewisse Risiken, solange sie im Rahmen bleiben.“
Es hätte nicht Lavells strengem Blick bedurft, um mir klarzumachen, dass dies eine Warnung war. Vielleicht sogar eine Drohung.
~o~
Der vermeintliche Vorteil der Deckung, die ihnen die Menge auf der Rolltreppe bot, stellte sich für Callan und Clary leider schon bald als großes Hindernis heraus. Im Gegensatz zu Touristen und Geschäftsreisenden aus anderen Welten waren es die Deovani gewohnt, von ihren Mitbürgern rücksichtslos zur Seite gestoßen zu werden und entsprechend darauf vorbereitet. Callan tat sein bestes, setzte seine verbesserten Körperkräfte ein, aber kam dabei kaum voran, zumal einige der Reisenden, die sich hier den Luxus gönnten, vor ihrem nächsten Arbeitseinsatz ihre Beine auszuruhen, recht stämmige, muskulöse und sicher mit entsprechenden Implantaten ausgestattete Kämpfernaturen waren. Aber auch die gediegener aussehenden Geschäftsleute waren nicht bereit, ihre Position zu räumen.
Auf diese Weise würden die Executioners nur noch am Ende der Rolltreppe warten und sie beide einsammeln oder beseitigen müssen. „Verflucht“, murmelte Callan frustriert und spürte dabei, wie ihm Clary tröstend über die Wange strich. Auch wenn er gerade ganz und gar nicht empfänglich für solche Gesten war, tat es irgendwie gut, weshalb er ihr ein dankbares Lächeln schenkte. Und vielleicht war es auch das dadurch ausgeschüttete Oxytocin, das seinen gestressten Kopf genügend kühlte, um ihm ein wenig logisches Denken zu ermöglichen. So nämlich kam ihm der Gedanken, dass er den Schlüssel zu praktisch all seinen Problemen in Deovan bei sich trug: Geld.
„Während sie bereit, mir für vierhundert Dominanten den Platz zu räumen?“, fragte er eine junge, muskulöse, glatzköpfige Frau in einem roten Anzug, die ihn zwar einen Sekundenbruchteil irritiert ansah, dann aber nickte und ihm ihren Identifier hinhielt. Vierhundert Dominanten wechselten den Besitzer und sie rückten ein Stück nach vorne, während sich die überlange Rolltreppe quälend langsam vorwärts schob. Die nächsten Transaktionen kosteten ihn erst achthundert und dann tausendfünfhundert Dominanten, da jeder Deovani einen Riecher für steigende Nachfrage nach Dienstleistungen hatte.
Auf diese Weise hatte er kurz darauf zweitausendsiebenhundert Dominanten verloren und war gerade einmal drei Treppenstufen weitergekommen. „So schaffen wir das niemals rechtzeitig“, ärgerte sich Callan als er erkannte, dass seine vermeintlich geniale Idee längst nicht so effektiv war, wie gedacht. Wahrscheinlich hatten sich ihre Verfolger ohnehin längst in Position gebracht. Ihm würde wohl nichts anderes übrig bleiben als sich mit seinen verlausten Pinpointer in den Kampf zu begeben und das nicht nur gegen die Leute von Rise, sondern mit etwas Pech auch gegen den Sicherheitsdienst von Right Flight, falls er den Kampf nicht schnell genug gewann.
Und da man Clary, die gerade stumm und mit einer Mischung aus Neugier und Angst in der Gegend herumstarrte in dieser Hinsicht nicht mitzählen konnte, war er auch noch ganz allein. Außer natürlich … ein weiterer Gedanke schoss Callan durch den Kopf, so unerwartet, interessant und erfolgversprechend, dass er ihn am liebsten umarmt hätte.
Noch einmal sah er zu den bulligen Straßenkämpfern und Kämpferinnen, die ihn umgaben und erkannte in ihnen nicht länger Hindernisse, sondern … Potenziale. Also änderte er seine Taktik und erhöhte die gebotenen Summen massiv. Nicht jeder war bereit, auf sein Angebot einzugehen, aber dennoch, als sie endlich am Ende der Treppe angekommen waren, war er nicht nur um weitere vierundzwanzig Millionen Dominanten ärmer, sondern auch um dreiunddreißig Personen, die bereit waren, ihnen als lebende Schilde zu dienen.
Er hoffte nur, dass sie ihre Vereinbarungen einhalten würden, ging aber davon aus, da er seinen Identifier so konfiguriert hatte, dass neunzig Prozent der vereinbarten Summen nur im Erfolgsfall fließen würden. Clary hatte sich die Verhandlungen interessiert und mit einer sichtbaren Abscheu in den Augen angesehen, sich jedoch nicht eingemischt, wofür Callan ihr überaus dankbar war. Dann schließlich hatten sie die letzte Stufe erreicht und zwischen Köpfen all jener, mit denen er keine Vereinbarung getroffen hatte, konnte er bereits ihre Verfolger erkennen. Sie hielten etwas in den Händen. Devillium-Cradles, ganz wie er vermutete hatte.
Er warf einen Blick auf seine kürzlich erworbenen Söldner, von denen zwar kaum einer eine externe, einige jedoch eingebaute Waffen bei sich hatten. Sie wirkten angespannt, konzentriert und bereit. Das war gut.
„Lauf und schau nicht zurück“, sagte er zu Clary.
Sie nickte, konnte sich aber nicht länger einen Kommentar verkneifen.
„Diese Leute sollten nicht für uns sterben“, sagte sie mit belegter Stimme.
Callan teilte Clarys Auffassung. Niemand sollte für jemand anderen sterben müssen. Wenn jemand freiwillig dazu bereit war, war das vielleicht etwas anders. Aber niemand, der etwas für Geld tat, tat es freiwillig. Callan wusste all das, spürte es in sich, sein ganzes Leben schon, also konnte er seine Taten nicht rechtfertigen. Das hier war eine vollkommen egoistische, dem eigenen Wunsch nach Freiheit und Überleben geschuldete Aktion. Darüber konnte er weder sie noch sich selbst belügen. Deshalb antwortete er nicht, sondern rannte einfach los. Seine Söldner verteilten sich zu beiden Seiten.
Als die Executioners sie empfingen und die ersten Devillium-Cradles ihre Ladungen entließen, bereit ein ausbruchsicheres Gefängnis um Clary und Callan zu errichten, prallten sie auf einen dichten Wall aus schützenden und ihrerseits ziemlich überraschten Leibern. Die von Callan angeheuerten Söldner hatten mit vielem gerechnet, mit Schusswaffen, mit Messern oder Waffenimplantaten, vielleicht auch mit unbewaffnetem Nahkampf. Jedoch nicht mit einer Bedrohung, der man auf diese Entfernung praktisch nicht entgehen konnte.
Clarys Augen weiteten sich entsetzen und auch in Callans Brust zuckte es unangenehm, als er hörte, wie sich das intelligente Material durch die Körper seiner Vertragspartner arbeitete. Dennoch nutzte er seine Chance und die kurze Verzögerung, die der Widerstand der vielen Körper verursachte und zerrte Clary gnadenlos mit sich. Hinter, neben und manchmal auch knapp über ihnen verbanden sich die Baumaterialien zu mit Blut, Fett und Knochensplittern beschmutzten Strukturen und ein dichtes Netz aus Schreien und im Todeskampf abgefeuerten Schüssen, legte sich um ihre Ohren.
Auch Clary, die nie zuvor derartige Grausamkeit erlebt oder auch nur für möglich gehalten hatte, entfuhr ein entsetzter Schrei. Einige der Söldner, denen das Schicksal der anderen nicht entgangen war, versuchten sich geordnet zurückzuziehen oder kopflos zu fliehen, aber in dem Gedränge war das praktisch unmöglich, sodass auch ihre Organe mehrfach von den Cradle-Strukturen durchstoßen wurden. Sogar einige eigentlich unbeteiligte Passanten fielen den fatalen Auswirkungen des intelligenten Materials zum Opfer oder erlitten zumindest schwere Verletzungen.
Es war ein widerliches, chaotisches Massaker, aber es sorgte auch für Ablenkung und so rückte für Callan und Clayr langsam der kurze Tunnel näher, der sie zum Rollfeld bringen würde. Callan, der selbst schockiert war, über das Ausmaß an Opfern, welches sein spontan gefasster Plan nun forderte, nutzte seine deovanische Lebenserfahrung, um Reue und Mitleid auszublenden und sich allein auf sein gestecktes Ziel zu fokussieren.
Einige der Rise-Executioners, die anfangs von Callans Aktion ziemlich überrumpelt gewesen waren, hatten ihre Überraschung mittlerweile überwunden und sich ganz am Ende der Menge versammelt, um Callan und Clary dort den Weg zu versperren. Weitere Devilium-Cradles wurden gezückt, jedoch nicht wie Projektile auf sie geworfen, sondern zu einer massiven Mauer verbunden, die erst ein, dann zwei und schließlich drei Meter hoch vor ihnen aufragte.
Callan, der sich wieder daran erinnerte, dass er über größere körperliche Fähigkeiten verfügte als ein gewöhnlicher Deovani, tat das Einzige, was ihm einfiel: Er ergriff Clary fest am Unterarm, sprang aus vollem Lauf nach oben, nutzte einige Köpfe, deren Besitzer er nicht näher identifizieren konnte als Trittstufen, wobei er ihre Genicke ungesund knarzen hörte und versuchte zusammen mit Clary mit einem gewaltigen Satz über die Mauer zu springen. Es gelang. Mehr oder weniger. Zwar hörte er, etwa auf dem Höhepunkt ihres Fluges ein schmerzerfülltes Ächzen von Clary, aber Callan zumindest gelang es, sich abzurollen und halbwegs heil auf dem Boden aufzukommen.
„Verdammt!“, fluchte Clary, die das Manöver offenbar immerhin überlebt hatte, „Was sollte das? Du hast mir die Beine gebrochen und den Arm ausgerenkt!“
Callan warf einen raschen Blick auf Clary und stellte fest, dass ihre Gliedmaßen tatsächlich ungesund verdreht waren. Er sah zurück zur Mauer, die einige der Executioners gerade zu überwinden versuchten. Dann sah er zum nicht mehr allzu weit entfernten Gate.
Allein würde er es vielleicht schaffen, wurde Callan bewusst und für einen Augenblick war er tatsächlich versucht einfach weiterzulaufen. Aber dann besann er sich eines besseren. Sein Gewissen hatte auch so schon genug zu tragen. Lieber trug er etwas physisches Gewicht.
Ohne noch länger zu zögern, hob er die verletzte Clary hoch und wuchtete sie auf seine Schulter.
„Hey! Das tut weh!“, beschwerte sie sich, aber Callan nahm ihre Worte nicht wirklich wahr. Seine Wahrnehmung konzentrierte sich allein auf den Tunnel vor ihm. Er bemerkte nicht einmal, dass eine weitere Devilium Cradle nach ihm geschleudert wurde und wäre wahrscheinlich samt Clary zerfetzt worden, wenn sein Unterbewusstsein und seine überdurchschnittlichen Reflexe nicht automatisch auf diese Bedrohung reagiert hätten.
Das umfunktionierte Wurfgeschoss verfehlte ihn knapp und entfalteten sich zu einem quer im Tunnel steckenden Stahlträger, den er mit einem beiläufigen Sprung überwand. Dummerweise war die Entwicklung des Cradles damit nicht zu Ende. Das mysteriöse Material wucherte im Untergrund weiter und verdrängte dabei den Boden des Tunnels, sodass dieser sich wie ein riesiger Maulwurfshügel nach oben wölbte. Callan fiel und schlug hart auf dem Boden auf, während die vor Schmerzen stöhnende Clary ihm aus den Armen rutschte. Auch Callan registrierte einen jähen Schmerz im rechten Fußgelenk. Er versuchte seinen Fuß zu belasten, brach aber sofort ein. War er verstaucht? Oder gebrochen? Dann konnte er einpacken.
Mühsam und benommen drehte er sich um und stemmte sich mit den Armen hoch. Zwei männliche Executioners, ein blonder und ein dunkelhaariger hatten die Mauer überwunden und näherten sich ihm. Er konnte nicht erkennen, ob sie noch weitere Cradles besaßen, aber bei einem bewegungslosen Ziel wäre das wohl auch nicht nötig. Sie würden andere Methoden finden, ihn mitzunehmen und sicher würden ihnen bald ihre Kollegen zur Hilfe eilen.
Callan verlagerte sein Gewicht auf seinen linken Arm und griff mit der rechten nach dem Pinpointer an seinem Gürtel. Er war noch da und das beruhigte ihn etwas, wenn auch nicht sehr. Die Waffe taugte nun einmal nicht viel und sobald er sie verwendete, könnte er seinen Flug vergessen und stünde auf der Abschussliste von Right Flight. Aber vielleicht würde er sich mit der Waffe zumindest selbst richten können. Er wusste nicht warum, aber eine Ahnung sagte ihm, dass es besser wäre auf diese Weise abzutreten, als Rise in die Hände zu fallen.
Er packte den Griff der Waffe fester und machte sich bereit, sie zu benutzen, während seine Häscher sich ihm im schnellen Schritttempo näherten. Vielleicht würde er Cestralia ja nach seinem Tod besuchen können.
Oder auch nicht. War es nicht ohnehin lächerlich zu glauben das Paradies finden zu können, wenn man in Deovan geboren war? Ein wenig schämte er sich wegen Clary. Er hätte sie nicht da reinziehen sollen. Natürlich wäre ihr Schicksal auch ohne ihn grausam gewesen, aber vielleicht weniger grausam als das, was Rise ihr bei der Befragung antun würden. Immerhin hörte er sie nicht mehr. Vielleicht hatte sie ja auch das Bewusstsein verloren oder sich bei ihrem Sturz das Genick gebrochen. Er hoffte es für sie.
Für einen Moment schloss Callan die Augen. Er war müde und enttäuscht von sich selbst. In seiner kurzen Zeit als Supernehmer hatte er gleich mehrere Leben beendet und ruiniert. Dabei hatte er sich immer für besser gehalten als die, denen er sein Leben lang zu Hungerlöhnen hatte dienen müssen. Falsch gedacht. Zu viel Geld schien am Ende jeden zu verderben und bei ihm war das ziemlich schnell geschehen. Vielleicht wäre es wirklich das Beste, wenn es nun endete.
Er blickte in die Augen der beiden Executioners. Sie waren … nicht emotionslos, nein, aber geschichtslos, identitätslos, zweifellos und Callan beneidete sie darum. Vielleicht hätte auch er eine Position als …
Callans müßiger Gedankenstrom riss abrupt ab, als ein mechanisches Sirren erklang und die Köpfe beider Executioners gleichzeitig von einem spitzen Stück Metall durchbohrt wurden. Einen Augenblick lang sahen die beiden ihn noch an. Ihr Blick plötzlich klar, präsent und überwältigt, so als wären ihre chemisch und technisch unterdrückten Erinnerungen in der Stunde ihres Todes in sie zurückgekehrt. Dann kippten ihre Leiber auf den Boden und eine muskulöse Frau mit rotem Pferdeschwanz erschien. Es war eben jene Söldnerin, mit der er als erstes verhandelt hatte. Sie massierte sich die Handgelenke, an denen ihre Kampfimplantate angebracht worden waren.
„Schaffen Sie schleunigst Ihre Ärsche in das Schiff“, sagte die Frau, „soweit ich weiß, fliegt es bald los. Aber vorher überweisen Sie mir die vereinbarten Dominanten. Und zwar die von allen Tradern, mit denen Sie ‘nen Deal hatten. Ich bin eh die einzige, die noch atmet und wenn alle überlebt hätten, hätten Sie’s denen auch zahlen müssen. Da machen Sie also keinen Verlust. Andernfalls …“
Die Söldnerin ließ ihre Andeutung bewusst in der Luft hängen und grinste breit. Calla hingegen beendete sein Selbstmitleid und fand, nun, wo sein Ende nicht mehr unmittelbar bevorstand, zu seinem alten Kampfes- und Lebenswillen zurück. Und deshalb war ihm natürlich klar, was er tun musste, um zu Überleben.
„Natürlich“, versprach Callan, „aber wir können kaum noch laufen. Ich verdoppele den Betrag, wenn Sie mich und die Blue Mind ins Schiff bringen.“
Die Frau blickte skeptisch den Gang hinab, wo sie wohl jeden Moment damit rechnete, weitere Leute von Rise, Security von Right Flight oder sogar Vertragswächter zu erblicken. So richtig wusste man das in Deovan nie. Die Machtverhältnisse und Zuständigkeiten waren volatil.
Schließlich gab sich die kräftige Söldnerin aber einen Ruck, nickte und lud sich erst ihn und dann Clary auf die Schultern. Callans Fuß schmerzte, als er unsanft hochgehoben wurde, aber er hielt es aus und an einem leisen, protestierenden Ächzen erkannte er zumindest, dass auch Clary noch lebte. Die Söldnerin rannte los und nahm wenig Rücksicht auf die Schmerzen ihrer Schützlinge. Das war ja auch nicht im Preis inbegriffen. Immerhin hielt sie sich aber an ihren Vertrag – auch, weil sie den riesigen Betrag auf Callans Identifier schon auf der Rolltreppe gezeigt bekommen hatte – und rannte zur Luftschleuse, anstatt sie einfach auszuliefern oder sonst etwas hinterhältiges mit ihnen anzustellen.
Erst als sie die zugangsgesicherte Tür der Luftschleuse erreichten, deren Countdown eine Minute und siebenundzwanzig Sekunden betrug, ließ sie Callan und Clary lieblos auf den Boden fallen.
„Reinkommen müssen Sie selbst. Ein Ticket kauf’ ich nicht für Sie und auf diesen Flug verzichte ich lieber“, sagte sie unfreundlich, „aber erst mal ist Zahltag, Trader!“
Callan nickte und tätigte wie in Trance die versprochene Überweisung, woraufhin sich die Söldnerin mit einem zufriedenen Grunzen und schnellen Schritten entfernte. Callan warf einen Blick auf den Countdown. Noch achtunddreißig Sekunden. Die Zeit raste und trotz seines Supernehmer-Organismus fühlte Callan sich plötzlich unheimlich schwach. Zitternd stemmte er sich hoch, sagte matt „Zwei Personen“ und zog seinen Identifier über den Scanner. Die Tür glitt auf und Callan seufzte erleichtert.
Callan blickte zu Clary. Sie atmete noch immer, hatte aber wieder das Bewusstsein verloren. Er kniete sich nieder, wobei er das Gefühl hatte, anstelle seiner Knie Stahlträger beugen zu müssen. Dann umfasste er Clarys Oberkörper und zog, den Schwindel ignorierend, der nach seinem Bewusstsein griff. Langsam schleifte er Clary auf die Tür zu und tat dabei zwei, drei unsichere Schritte, bevor ihn seine Kräfte endgültig verließen. Gemeinsam mit Clary blieb er mitten in der offenen Tür liegen und ergab sich seiner Erschöpfung.
~o~
„Das macht zweitausend Dominanten für den Eiltransport und fünfunddreißigtausend für die Wiederherstellung“, verlangte eine geschäftsmäßige, männliche Stimme.
Callan war speiübel. Dennoch schlug er die Augen auf. Auch wenn er gerade noch nicht wusste, wo er sich überhaupt befand und wer mit ihm sprach, wusste er noch, dass es in Deovan äußerst gefährlich war, finanzielle Angelegenheiten zu ignorieren. Er sah in das Gesicht eines jungen, kurzhaarigen, Mannes in der Uniform von Right Flight. Unter seinem Hintern spürte er weiches Polster. Sanfte, charakterlose Musik schwappte leise an seine Ohren. Trotz seiner Übelkeit litt er keine Schmerzen mehr. Mühsam verknüpfte Callans Gehirn diese Informationen in die Bruchstücke seine Erinnerung. Nach seinem Zusammenbruch musste man sie in das Raumschiff geschleift und zusammengeflickt haben. Damit hatten sie verdammtes Glück gehabt, denn es war mindestens genauso wahrscheinlich gewesen, von Rise aufgegriffen zu werden oder im firmeneigenen Gefängnis von Right Flight aufzuwachen.
„Danke“, brachte Callan hervor, „aber warum haben Sie das getan? Wir konnten nicht mal einen Vertrag darüber abschließen.“
„Wir haben Sie als höchst solventen Nehmer identifiziert und sind entsprechend in Vorleistung gegangen“, erklärte der Flugbegleiter, „natürlich können wir Ihren Körper und den Ihrer Angestellten aber auch wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzen. Das könnte für Sie aber sehr unangenehme Folgen haben.“
„Nein, alles gut“, beeilte sich Callan zu sagen, „buchen Sie den Betrag ab.“
Er hielt dem Mann seinen Identifier hin, der seinen eigenen dagegenhielt und die Transaktion durchführte.
Während dieser kurze Prozess ablief, wandte Callan sich zu Clary um, deren Beine zwar wieder intakt waren, die aber ihre Augen noch immer fest geschlossen hielt.
„Was ist mit ihr?“, fragte er den Flugbegleiter, „geht es Ihr wirklich wieder gut?“
„Ja“, antwortete der Mann mit einem professionellen Lächeln, bevor er sich wieder entfernte, „wir haben ihre inneren und äußeren Verletzungen erfolgreich behandelt. Sie schläft lediglich. Und das würde ich auch Ihnen empfehlen. Unser Flug dauert ja noch einige Stunden. Wenn Sie etwas wünschen, betätigen Sie einfach unser Service-Terminal.“
Tatsächlich fühlte Callan sich noch immer erschöpft, wenn schon nicht körperlich, so doch seelisch. Dennoch verzichtete er darauf, sich wieder hinzulegen. Ihm brannte eine Frage auf der Seele, die er dem Flugbegleiter nicht stellen konnte, ohne sich noch verdächtiger zu machen. Nämlich die Frage, wohin zum Teufel sie hier unterwegs waren. Er warf einen kurzen Blick auf die Fahrgäste und die Passagierkabine. Die hochklassige Ausstattung legte nah, dass er in der ersten Klasse unterwegs war. Dennoch sah er hier nicht die üblichen CEOs und hochrangigen Angestellten in ihren teuren Anzügen, sondern stattdessen hochgerüstete Söldner und Glücksritter mit sichtbaren technischen Erweiterungen, stabilen Körperpanzern, Kampfanzügen und Statiskoffern mit dem Emblem von Right Flight, in denen wohl Waffen und sensible Ausrüstung für die Dauer des Fluges neutralisiert und eingeschlossen worden waren. Für die Sicherheitslage in ihrem Reiseziel verhieß das nichts Gutes.
Callan blickte zum Fenster, wo anstelle des Weltalls ein Videoclip abgespielt wurde, den entweder Right Flight, sein Vorgänger auf diesem Platz oder ein gut zahlender Kooperationspartner ausgewählt hatte. In diesem Fall war es ein Life-Cruiser, der über die Wellen von Mihnral, einer deovanischen Satellitenwelt rauschte, die als Ferienparadies bekannt war. Ein Life-Cruiser war eine Art biologische Yacht aus der Produktion von New Day Inc.. Sie bestand aus einem eigens gezüchteten, walartigen Lebewesen, dessen Körper bewohnbare Hohlräume und einen effektiven, biologischen Antrieb aufwies.
Diese Wesen, die in ihrer ursprünglichen Form die Ureinwohner des Ozeans von Mihnral gewesen waren, verfügten über eine recht hoch entwickelte Intelligenz, da diese jedoch nicht so gut auf die Bedürfnisse eines Freizeitschiffes zugeschnitten war, wurde bei den teureren Modellen das Bewusstsein eines Soul-Companions für die Navigation genutzt.
Für einen Moment fürchtete Callan, dass das ein Hinweis darauf war, dass er viel Geld für ein Ticket in die deovanische Nachbarschaft ausgegeben hatte, aber dagegen sprachen nicht nur die anderen Passagiere, sondern auch die Tatsache, dass ihr Flug weit länger als nur eine Viertelstunde dauern würde. Ihr Ziel musste weit entfernt liegen. Da Callan in seinem Leben noch nie einen interstellaren Flug genutzt hatte, hatte er leider keine Ahnung, wo sich das Service-Terminal befand, von dem der Flugbegleiter gesprochen hatte.
Glücklicherweise half ihm hier die Beobachtung der anderen Passagiere weiter. Eine der Söldnerinnen in der gegenüberliegenden Sitzreihe, drückte auf eine Stelle an der Rückseite des Sitzes ihres Vordermannes, woraufhin vor ihr ein virtuelles Terminal erschien. Callan tat es ihr gleich. Das Menü erschlug ihn mit einer Fülle an Funktionen, angefangen von einer breiten Musikauswahl, über Drinks (inklusive Thought-Shots und Edge-Drinks) und eine Essenskarte, bis hin zu Entspannungs-, Massage, Fitnessapplikationen, sowie einer Steuerung für die Fensteransicht. Mit letzterer versuchte er sein Glück, jedoch sagten ihm die Sterne, die nun am nicht mehr als Bildschirm genutzten Fenster vorbeirauschten, leider wenig.
Schließlich jedoch entdeckte er eine Navigationsanwendung, die es ermöglichte, die Reiseroute des Schiffs genau zu verfolgten. Callan folgte der gepunkteten Linie, die in der dreidimensionalen Darstellung von jenem blinkenden Punkt ausging, der ihre aktuelle Position beschrieb und landete schließlich bei einem silbergrauen Planeten. Neugierig vergrößerte er die Ansicht und sah eine dichte, diesige Atmosphäre, unter der sich eine Reihe technoider Gebäudestrukturen abzeichnete, die Deovan wie einen rückständigen Argraplaneten wirken ließen.
„Fuck, was ist das?“, murmelte Callan, dessen Allgemeinwissen trotz seiner Tätigkeit als Redakteur diverse Lücken aufwies.
„Das ist Anntrann“, hörte er Clarys verschlafene Stimme sagen, „der einstige Heimatplanet der Whe-Ann. Manchmal, wenn mir früher langweilig war, hab ich Mama gebeten, mir Gruselgeschichten zu erzählen. Fast immer handelten sie davon.“
~o~
Es war schon eigenartig. Über weite Strecken meiner Existenz als Fortgeschrittener hätte ich mir nichts Vertrauteres vorstellen können, als meine Beziehung zu Karmon. Keine Freundschaft, keine Liebesbeziehung, nicht einmal die Bindung zu meinen Eltern in meinen harmonischeren Kindheitsjahren war dem auch nur ansatzweise nahegekommen. Nun jedoch erschien mir das Wesen, das mich in das Gewächshaus geschleppt und auf einen der Stühle gesetzt hatte, fast vollkommen fremd. Ja, fremder und mysteriöser sogar als Marnok, der immerhin äußerst mitteilsam gewesen war. Nun war Karmon sicher nie ein Plappermaul gewesen, aber dass er auf unserem Weg von der MKH-Zentrale bis zum Gewächshaus nicht ein einziges Wort mit mir gesprochen hatte, erschien mir doch ungewöhnlich.
„Wie geht es dir?“, fragte ich den Kwang Grong, der damit begonnen hatte, die von mir angelegte Bepflanzung aus dem Kraftfeld zu entfernen, jetzt schon zum dritten Mal.
„Gut“, erwiderte Karmon endlich einsilbig auf meine zugegebenermaßen etwas profane Frage und befreite eine weitere Ranke aus der Erde.
„Ich meine, was hat Lavell mit dir angestellt?“, hakte ich nach.
Karmon entwurzelte zwei weitere Pflanzen, bevor er sich zu einer Antwort herabließ.
„Er hat mich geheilt“, antwortete Karmon dermaßen abwesend, dass ich den Wahrheitsgehalt seiner Worte automatisch in Zweifel zog.
„Das freut mich für dich“, erwiderte ich, „aber wie hat er das angestellt?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete Karmon ausweichend, „und es ist mir auch egal. Hauptsache ist, dass es funktioniert hat.“
„Also ist Marnok fort?“, fragte ich.
„Ja“, antwortete Karmon, „und er kann froh darüber sein. Immerhin wird er nicht mit solchen Fragen gelöchert.“
„Ich mache mir einfach Sorgen um dich“, antwortete ich verblüfft, da ich so eine Feindseligkeit von Karmon nur selten erlebt habe, „was recht altruistisch ist, wenn man meinen Zustand bedenkt.“
„Du solltest dir lieber Sorgen um unsere Mission machen“, entgegnete Karmon, „Eine Mission, die du durch deinen Leichtsinn schon jetzt gefährdet hast. Jede deiner Wunden hast du dir selbst zuzuschreiben. Man könnte fast meinen, die Vergeltung an Kollom sei dir nicht mehr wichtig.“
„Hey, ich war es nicht, der eine Biowaffe auf mich gehetzt hat“, protestierte ich, „und du weißt, dass ich mir kaum etwas Befriedigerendes vorstellen kann, als Kollom Arschloch Nehmer meinen Stiefel ins Maul zu rammen. Okay, meine Erkundungsmission ist ein bisschen aus dem Ruder gelaufen. Aber bist du ernsthaft sauer auf mich, weil ich nicht brav in Lavells Wartezimmer ausgeharrt und mich seiner Gnade ausgeliefert habe? Immerhin ist er ein Deovani und offenbar der Chef einer der größten Genetik-Freakshows im gesamten Multiversum. Wir haben doch schon bei Enry festgestellt, wie diese Typen drauf sein können. Stellst du seine Motive denn kein bisschen infrage?“
„Vielleicht würde ich das, wenn ich nicht damit beschäftigt wäre, dein Chaos zu beseitigen“, erwiderte Karmon trocken und ich entschloss mich, diese fruchtlose Konversation lieber abzubrechen. Ich konnte Karmons plötzliche Feindseligkeit nicht nachvollziehen. Ein wenig Grummeligkeit gestand ich ihm nach seinem technologischen Exorzismus, dessen Details wahrscheinlich weit unappetitlicher waren als Karmon eingestehen wollte, natürlich zu. Aber letztlich war er noch immer mein Grong-Shin und unsere zwischenzeitlichen Spannungen wegen Enry Nehmer hatten wir eigentlich längst beigelegt. Wie dem auch sei, dachte ich seufzend und versuchte vergeblich das Pochen in meiner Hand und meiner Brust auszublenden, offenbar würden die nächsten Stunden kein Vergnügen werden.
~o~
Rischahs Ungeduld und Nervosität wuchsen mit jeder Sekunde. Die fast vollständige Ungewissheit über die Lage in der Außenwelt machte sie fast verrückt. Das war schlecht, denn ein Hormonhaushalt, der aus dem Gleichgewicht geriet, konnte ihr Vorhaben zunichtemachen, da er einen ungünstigen Einfluss auf ihre Körperchemie haben und das Gemisch verderben könnte. Dabei gab es eigentlich keinen Grund für Nervosität. Was Angehörigen anderer Völker als fantastische Fähigkeit erscheinen mag, war für sie und andere Lomäine zwar nicht alltäglich, aber doch nicht außergewöhnlich und an die Abschottung war sie sogar noch mehr gewöhnt. Allerdings war es auch etwas anderes, sich gegen die Scyonen zur Wehr zu setzten, die ihr Volk bereits seit Jahrzehnten terrorisierten, als gegen diese unbekannte Bedrohung.
Rischah lauschte angestrengt nach Vibrationen in ihrer Nähe, konnte jedoch nur eine ferne, unendlich schwache Erschütterung erahnen. Waren das Schritte? Vielleicht Rovenia und Hord, die von ihrer Erkundungsmission zurückkehrten?
In diesem Fall durfte sie nicht lange zögern. Die beiden wussten nicht, was sie hier erwartete und wenn sie sie warnen wollte, müsste sie erst ihre Deckung fallen lassen, was einem Selbstmord gleichkäme. Zum Glück meldete ihr Körper ihr just in diesem Moment, dass das Fungizid bereit für den Einsatz war. Sie erwog, es zunächst gegen die Sporen in ihrem eigenen System einzusetzen, aber zum einen wäre das im Fall eines Fehlschlags noch gefährlicher und zum anderen fehlte ihr die Zeit für einen Testlauf. Stattdessen wies sie ihre kleinen Symbionten an, die Substanz nach außen zu transportieren, direkt unterhalb ihrer schützenden Panzerschicht. Dann öffnete sie sich. Und schlug los.
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Rovenia zitterte. Ihr Herz schlug hart und unregelmäßig. Da sie keine Hände mehr besaß, fiel es ihr äußerst schwer, ihre Balance zu halten, aber sie ließ sich nicht von all dem beirren und rannte, rannte immer weiter die Treppen hoch, während der wild gewordene, blutgierige Kannibale, jener widerliche Auswurf Akronsas hinter ihr her war und mit jedem Atemzug weiter aufholte, auch wenn sie aktuell noch ein wenig Vorsprung hatte.
Dabei überlegte Rovenia fieberhaft, wie sie den Wahnsinnigen aufhalten könnte. Doch leider war sie weder schneller noch stärker als er und eine Waffe besaß sie auch nicht. Alles, was sie hatte, war ihr Wissen über Architektur und Statik und eben jenes brachte sie auf eine verzweifelte, aber vielleicht rettende Idee. Zwar war die Treppe insgesamt in einem sehr guten Zustand, aber auf ihrem Weg nach unten war ihr dennoch aufgefallen, dass es drei Treppenstufen gab, die das Bombardement nicht so unbeschadet überstanden hatten wie die anderen. Eine davon lag direkt vor ihr. Rovenia fackelte nicht lang, überwand jene Stufe, fand dort einen Riss, von dem sie erkannte, dass er nicht nur oberflächlich war und drosch mit ihrem schweren Stiefel darauf ein. Ein spitzer Schmerz ging von ihrem Fuß, bis zu ihrer Wirbelsäule, aber sie ignorierte ihn und trat wieder und wieder auf die Schwachstelle ein, bis sich nicht nur der Riss erweiterte, sondern auch ein spürbares Vibrieren durch den Boden ging. Rovenia war sich nicht sicher, aber sie hielt es zumindest für möglich, dass ein weiterer Tritt einer schweren Person – wie etwa Hord – die Stufe oder zumindest einen entscheidenden Teil davon zum Einsturz bringen könnte. Das war der Moment, als Hord in ihrem Sichtfeld auftauchte.
Für einen Augenblick fürchtete sie, dass er ihre Sabotage bemerkt haben würde, aber in seiner Blutlust rannte er einfach weiter. Rovenia tat es ihm gleich. Nun blieb ihr nur noch zu hoffen, dass ihr Plan aufging und sie irgendwie die anderen erreichen könnte.
Sie war nur wenige Schritte vorangekommen, als sie ein lautes Krachen und Splittern, sowie einen wütenden, verärgerten Schrei hinter sich hörte. Erfüllt von tiefer Genugtuung konnte sie nicht anders, als sich umzudrehen. Die Stufe – oder zumindest die Hälfte davon – war wie erhofft unter Hords Gewicht zusammengebrochen. Der Kannibale steckt bis zum Bauch in dem scharfkantigen Loch, blutete aus diversen Wunden und versuchte sich mit zornesrotem Gesicht herauszuziehen. Leider sah es aus, als könnte es ihm gelingen. Rovenia entschied sich, kein Risiko einzugehen.
Sie ging auf Hord zu, baute sich vor ihm auf und ließ ihre Wut ihre übliche Disziplin verdrängen. Sie blickte in das Gesicht des strampelnden Ungeheuers. Seine Augen waren erfüllt mit einer Mischung aus tierischer Gier und religiösem Eifer.
„Wer ist nun wertlos, Abschaum?“, fragte sie und genoss das Gefühl ihm zumindest einen Teil der Erniedrigungen, die er ihr zugefügt hatte, zurückgeben zu können. Dann trat sie mit all ihrer Kraft auf seine rechte Hand. Hord brüllte. Seine Fingerknöchel knirschten hörbar.
In diesem Moment schnappte der Kopf des Kannibalen schlangengleich vor. Und biss zu.
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Eine Wolke aus hochspezialisiertem Fungizid strömte aus Rischah hervor, während ihre Sinne auf einen Schlag zurückkehrten. Die folgenden Augenblicke liefen für sie beinah wie in Zeitlupe ab. Sie sah, wie das Geflecht aus gefährlichen Pilzsporen, welches sie wie ein Schwarm aus lauernden Abfangjägern einkreiste, dazu ansetzte, in sie einzudringen. Scheinbar unendlich langsam und doch unaufhaltsam strebte der millionenfache Tod auf sie zu. Zumindest so lange bis den Sporen die leicht bläuliche Wolke aus ihrem Inneren entgegen wallte.
Als der erste Kontakt zwischen den beiden winzigen Heeren erfolgte, hielt Rischah den Atem an. Und der wäre ihr vor lauter Euphorie fast weggeblieben, als sie sah, wie die Myzelien begannen zu veröden. Wie verwelkte Blütenblätter fielen sie zu ihren Füßen herab, begleitet von einem lauten, hallenden Krachen, von dem Rischah ahnte, dass es nichts mit dem Pilz zu tun hatte. War Hord und Rovenia etwas passiert? Sie würde dem nachgehen, sobald ihr Kampf entschieden war, gerade hatte sie aber keine Zeit dazu.
Als der Rest der Pilzpartikel das Schicksal der anderen Sporen bemerkte, war es für die meisten zu spät. Ein kleiner Teil jedoch stob davon und selbst als Rischah weitere Fungizid-Wolken hinterherschickte, erreichte sie nicht alle Myzelien.
„Verflucht!“, flüsterte sie zu sich selbst und meinte damit nicht nur, die entkommenen Sporen, sondern auch Kriwas zerfetzten Körper, den sie erstmals in seiner gesamten, widerlichen Tragik erblickte, wie er unbeachtet zwischen den teilnahmslosen Androiden auf der Erde lag. Er war einer von den Guten gewesen und von denen gab es nicht allzu viele. Entsprechend traurig war es, wenn ein weiterer von ihnen starb.
Immerhin hatte sich ihr Verteidigungsmechanismus als effektiv erwiesen und so ließ sie ihren Organismus mit einer leicht angepassten Dosis des Fungizids fluten, was als Nebenwirkung lediglich einen zwar unangenehmen, aber immerhin nur kurz andauernden Schwindel zur Folge hatte.
Als alle Sporen in ihr tot und der Schwindelanfall vorbei war, hörte sie wieder die Schritte, die zuvor für eine ganze Zeit verstummt gewesen waren.
Sie drehte sich um und sah in das dreckige, finstere Gesicht von Hord. Sein Mund war blutverschmiert, wobei sich unmöglich sagen ließ, ob es sein eigenes war. Das Blut an den Wunden an seiner Brust, seiner Hand, seinen Beinen und seinen Armen stammte hingegen in jedem Fall von ihm.
„Wo ist Rovenia?“, fragte Rischah streng.
„Tot“, sagte Hord direkt und mitleidslos, jedoch zumindest ohne ein verdächtiges, gehässiges Grinsen, „Sie ist tief gefallen und das, was dort unten lauert, hat sie geholt.“
„Was lauerte denn dort unten?“, fragte Rischah skeptisch, die sich ein wenig vorkam, als wolle ihr ein Haifisch klarmachen, dass er den Goldfisch an seiner Seite nicht gefressen hatte, „abgesehen von dir, meine ich.“
Hord sah Rischah direkt in die Augen und Rischah versuchte festzustellen, ob sie Schuld darin erkannte oder wenigstens Triumph. Aber im Blick des Kannibalen wohnte lediglich Wahnsinn und der hatte schon früher dort residiert.
„Wahrscheinlich derselbe Schrecken, der auch bei euch gewütet hat und so wie du, habe ich ihn überlebt. Der Stärkere setzt sich durch, der Rest vergeht. So ist der Lauf der Dinge. Das ist ganz natürlich“, sagte Hord schulterzuckend.
„Außer, wenn man der Sache ein wenig nachhilft, was?“, sagte Rischah und fragte sich, ob ihr Fungizid ihr im Notfall auch gegen den Kannibalen helfen oder ihn wenigstens aufhalten könnte.
„Ich habe der Krüppelfrau nichts getan“, behauptete Hord, „aber ich habe ihr auch nicht geholfen. Wenn sie sich nicht festhalten kann, ist das ihre Schuld. Ohne ihre Dummheit hätte sie auch nicht ihre Arme verloren.“
„Du bist der widerlichste Abschaum, der mir seit langem begegnet ist“, spie Rischah Hord entgegen, „selbst die Scyonen würden mit Recht auf dich herabsehen.“
„Wer auf mich herabsieht, hängt wahrscheinlich hoch an der Decke an einem Haken in meinem Vorratskeller“, sagte Hord lachend, „und wenn ich Abschaum bin, so bin ich immerhin der einzige Abschaum, auf den du dich noch verlassen kannst.“
„Mich auf dich verlassen?“, fragte Rischah ungläubig, „du hast doch gerade klargemacht, wie du Verbündete behandelst.“
„Nicht jeden“, erklärte Hord, „nur die Schwachen. Und du bist nicht schwach. Du bist eine geborene Anführerin.“
„Auf deine Komplimente kann ich verzichten“, erwiderte Rischah, die noch immer nicht davon überzeugt war, dass der Mann aus Dank Qua sich Rovenia nicht einverleibt hatte.
„Auf meine Hilfe aber nicht“, beharrte Hord.
„Und wobei willst du mir helfen?“, fragte Rischah.
„Dabei, unsere Mission zu erfüllen“, antwortete Hord und hob dabei etwas glitzerndes aus dem blutverschmierten Haufen aus Fleisch und Federn auf, der einmal Kriwa gewesen war. Auf den zweiten Blick entpuppte es sich als ein leuchtender Sack aus Gewebe, der wohl einst noch im Hinterteil des Vogelmannes gesteckt hatte und der nicht nur die Explosion überlebt hatte, sondern auch nach seinem Tod noch immer leuchtete.
„Ich dachte, du hältst diese Mission für eine Falle und ein Himmelfahrtskommando?“, erinnerte Rischah ihn, während sie angewidert das Gesicht verzog. Dennoch protestierte sie nicht. Eine Lichtquelle wäre nach wie vor nützlich, egal wie pietätlos und widerlich sie war.
„Das ist sie wahrscheinlich auch“, sagte Hord, während er die Kriwas Leuchtdrüse von Blut- und Fleischresten befreite und so ihre Leuchtkraft weiter verstärkte, „ich denke, Kriwa und Rovenia würden dem auch zustimmen, wenn man sie noch fragen könnte. Aber wenn wir schon hier unten verrecken, dann will ich wenigstens wissen, weswegen. Und wer weiß, vielleicht bietet diese Anomalie uns ja auch einen Vorteil oder sogar eine Chance, unseren „Auftraggebern“ ein wenig Ärger zu machen. Also, was ist? Gehen wir?“
„Gehen? Wohin denn?“, fragte Rischah.
„Nun“, sagte Hord grinsend und mit einem widerlichen Mundgeruch, „ich würde sagen, wir nehmen den einzigen Weg, den wir noch nicht ausprobiert haben. Macht doch Sinn, oder nich’?
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Die gläserne Tür knirschte laut und kratzte über den Boden, als Rischah sie aufschob. Die Tür war eindeutig verzogen, wahrscheinlich infolge des Bombenangriffs und es erforderte eine große Kraftanstrengung, sie zu öffnen. Diese aufzubringen fiel ihr schwerer als gewohnt. Die Fungizidproduktion hatte ihre Muskeln leicht übersäuern lassen, die ständige Alarmbereitschaft und die Verpanzerung hatten sie zusätzlich verkrampft und auch ihr Nacken schmerzte schon fast vom Umdrehen, da sie den ganzen Weg über damit gerechnet hatte, dass Hord, der ihre Bemühungen gerade spöttisch begutachtete, ihr in den Rücken fallen würde.
Sie hätte natürlich die Androiden für diese Aufgabe einsetzen können, aber sie zog es vor, so wenig Kontakt wie möglich mit ihnen zu haben. Nicht nur, dass sie ihr unheimlich waren, sie hatten auch weder Kriwa noch sie vor den Gefahren dieses Ortes beschützen können. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn sie einfach gehen würden, aber sie fürchtete sich vor dem, was passieren würde, wenn sie das von den stummen Riesen verlangte. Hord erschien ihr natürlich kein bisschen vertrauenswürdiger, was auch ein Grund war, dass sie ihn die Türe nicht öffnen ließ: Sie wollte vor dem Kannibalen keine Schwäche zeigen.
Hatte sie anfangs noch etwas gezweifelt, war sie sich nun fast sicher, dass der gewissenlose Mann seinem Ruf gerecht geworden war und sich eine ordentliche Portion von der tapferen Rovenia gegönnt hatte. Rischah hätte niemals zulassen sollen, dass die Bravianerin sich allein mit diesem Psychopathen auf den Weg macht. Sie überlegte bereits seit geraumer Zeit, ob sie den Bastard für sein Verbrechen bestrafen sollte, aber auch wenn Rischah einen recht ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit besaß, war sie in erster Linie eine Soldatin und als solche eine Sklavin ihres Überlebensinstinkts. Sie wusste, dass eine Konfrontation mit Hord sie selbst im Falle eines Sieges weiter schwächen würde, während ein lebender Hord ihr womöglich doch von Nutzen wäre. Er war ein Mörder und ein Arschloch, aber zumindest in Bezug auf das, was hier lauerte, waren sie Verbündete.
Rein rational betrachtet, würde auch er nicht von ihrem Tod profitieren. Andererseits war natürlich fraglich, wie viel Vernunft noch in diesem stinkenden Schädel steckte.
Rischah blickte hinab zu den Fugen, in denen bei ihrem letzten Besuch hier noch der rot-weiße Flaum gewachsen war. Inzwischen waren die Fugen blitzblank, aber Rischah wusste nicht recht, ob sie das beruhigen sollte. Wenn sie Glück hatte, hatten sich genau diese Pilzsporen aus den Fugen gelöst und das Wesen geformt, das Kriwa getötet hatte, bevor sie es mit ihrem Fungizid beinah erledigt hatte. Doch selbst, wenn dem so war, schwirrte ein Teil der Sporen noch immer irgendwo hier herum und sie hatte so eine Ahnung, dass der Pilz nicht die einzige Gefahr in diesem Konzerngebäude darstellte.
„Geh du zuerst!“, verlangte Rischah von Hord, als es ihr endlich gelungen war, die Glastür aufzustemmen.
„Hast du etwa Angst vor mir?“, fragte Hord höhnisch und entblößte seine spitzen Zähne.
„So ein Quatsch!“, konterte Rischah selbstbewusst, „ich kann es nur nicht länger ertragen, dass du mir deinen stinkenden Atem in den Nacken bläst.“
„Natürlich!“, sagte Hord schmunzelnd, ging aber wie befohlen durch die Tür. Rischah und die Androiden folgten ihm.
Hinter der Glastür lag kein weiterer schmaler Gang, sondern eine halbkreisförmig gebaute kleine Halle. Sie war gespickt mit acht verschiedenen Holztüren, einer ebenfalls halbkreisförmigen Empfangstheke und einem riesigen Whiteboard, das an dicken Stahlseilen von der Decke hing und mit kryptischen Formeln, Zeichnungen und Notizen vollgekritzelt war.
An der weiß getünchten Wand prangte die Bezeichnung „Kopfgeburtsstation“, eingerahmt von stilisierten, lachenden, deovanischen Kleinkindern, über deren rundäugige Köpfe hell leuchtende Glühbirnen gemalt waren.
„Das muss die Forschungsabteilung sein“, vermutete Rischah, die inzwischen ein Gefühl für den so infantilen wie sympathischen Humor der ehemaligen Belegschaft von Nutrics Industries bekommen hatte.
„Auf mich wirkt das eher wie ein Kindergarten“, befand Hord abschätzig.
„Sieh mir nach, wenn ich auf deine ästhetischen Urteile verzichte“, erwiderte Rischah trocken, „was zählt ist, dass wir die richtige Tür finden.“
„Notfalls müssen wir eine nach der anderen einschlagen. Wird schon nicht so schwer sein“, meinte Hord achselzuckend.
„Warum versuchst du nicht gleich die Türen aufzufressen?“, kommentierte Rischah bissig und schritt auf die Türen zu, um sie genauer zu untersuchen. An dem Lichtkegel, den Kriwas Drüse produzierte, erkannte sie, dass Hord ihr folgte und auch die Androiden machten sich durch ihre metallisch hallenden Schritte unzweifelhaft bemerkbar, die erst zum Stehen kamen, als auch Rischah ihr Ziel erreicht hatte.
Die Türen boten keine Anhaltspunkte für die Räume, die sie bewachten, sondern waren lediglich nüchtern nummeriert. Aber immerhin waren sie unverschlossen. Rischah schenkte Hord einen vielsagenden Blick und öffnete probeweise die Tür mit der Nummer „2“.
Im Lichtkegel des Organs ihres toten Kameraden sah sie lediglich einen Lagerraum mit Glasgefäßen, Kabeln und leeren Datenträgern. Die Türen mit den Nummern „1“, „3“ und „4“ waren nicht viel interessanter. Im Gegensatz zu der Tür in der Mitte. Sie trug die Aufschrift „Spielzimmer“ und war Rischah ganz und gar nicht geheuer. Etwas in ihr sträubte sich dagegen, sie zu öffnen. Stattdessen presste sie ihr Ohr gegen die Tür. Es schien ihr, als dringe ein elektrisches Surren daraus hervor, das gleichzeitig klang, wie die vielfachen, schnellen Flügelschläge eingesperrter Insekten. Angesichts der allgemeinen Dunkelheit in dem Gebäude erschien ihr das zumindest wahrscheinlicher als Elektrizität.
War das eine weitere unliebsame Überraschung oder hatten sich die Reste der Pilzsporen dort drin eingenistet? Nervös prüfte Rischah ihren inneren Vorrat an Fungizid und kam zu dem Ergebnis, dass er noch für einige Einsätze reichen würde. Aber was würde er ihr bringen, wenn es hinter dieser Tür eine andere Bedrohung gab als diese Sporen? Sollte sie lieber ein Insektizid vorbereiten? Doch wie, ohne genau zu wissen, womit sie es zu tun bekäme?
„Hörst du das?“, fragte sie Hord, der daraufhin ebenfalls sein schmutziges Ohr an die Tür legte.
„Ja“, bestätigte der Kannibale, „Vermutlich laufen da drin Generatoren oder irgendsowas.“
„Das wäre wahrlich ein Wunder, bei einem Gebäude, in dem die gesamte Stromversorgung zusammengebrochen ist“, entgegnete Rischah skeptisch.
„Vielleicht haben sie ja ein Notstrom-Aggregat“, gab Hord zu bedenken, „würde auch dafür sprechen, dass dort was Wichtiges zu finden ist. Wir sollten nachsehen.“
Hord langte nach dem Türgriff, aber Rischah hielt seine Hand fest.
„Nein!“, widersprach sie, da sie plötzlich das Gefühl hatte, hier dem Eingang zur Hölle gegenüberzustehen, wenn schon nicht der wortwörtlichen, so doch zumindest ihrer ganz persönlichen.
„Und was willst du stattdessen tun?“, fragte Hord, „zum Haupteingang rausmarschieren und dich allein oder mit den paar Metallpüppchen einer ganzen Armee stellen? Das zumindest würde mir Respekt abnötigen, auch wenn dein Mut allein aus Feigheit geboren wäre. Aber sei ehrlich, Rischah: Bist du gar nicht neugierig?“
„Hord hat recht“, meldete sich plötzlich eine Stimme in Rischahs Helm, die sie schon so lange nicht mehr gehört hatte, dass sie zunächst an einen Geist oder eine Halluzination glaubte. Erst dann realisierte sie, dass die Stimme Sandra gehören musste, „Es macht keinen Sinn, die Mission jetzt abzubrechen. Ihr seid praktisch am Ziel. Unsere Daten bestätigen, dass sich die Anomalie hinter dieser Tür befinden muss. Ihr müsst nur eine Probe davon holen und dann endlich nach Hause kommen.“
Ein Geist wäre Rischah lieber gewesen. Sie spürte Hass und Enttäuschung wie eine Lawine in sich hinabrollen. Eine Lawine, die sie lange hinter einem Staudamm aus Gutgläubigkeit, Hoffnung und militärischer Disziplin verborgen hatte.
„Habt ihr den Arsch offen?“, schrie Rischah zitternd vor Wut, „Kriwa ist tot, Rovenia ist tot. Alle außer mir und diesem Kannibalen wurden von irgendwelchen scheiß Sporen oder anderen … Monstrositäten vernichtet und ihr habt die Frechheit zu verlangen, dass wir uns noch weiter ins Ungewisse begeben? Nachdem ihr uns in diese Todesfalle gelockt habt. Nachdem ihr uns vergessen habt und euch erst wieder meldet, wenn wir drohen nicht nach eurer Pfeife zu tanzen. Scheiß auf euch! Scheiß auf euren Krieg. Und scheiß auf dich, Sandra!“
„Ich verstehe, dass du sauer bist“, entschuldigte sich Sandra, „aber es war keine Absicht. Wir hatten keine Ahnung, was diese Bombe angerichtet hat und wir konnten auch nichts dafür, dass unsere Kommunikationsverbindung abgerissen ist. Nur dank der Bemühungen von Disruptor Yonis konnten wir sie überhaupt wiederherstellen. Trotzdem kannst du mir natürlich jeden Vorwurf machen, den du mir machen möchtest und das mit vollem Recht. Wir hätten besser vorbereitet sein sollen. Wir hätten vielleicht unsere eigenen Leute schicken sollen, statt uns auf Freiwillige zu verlassen. Du kannst mich anschreien und verprügeln, wenn du möchtest, sobald du wieder hier bist. Aber jetzt müssen wir dafür sorgen, dass du und Hord gesund zurückkommt. Und auch dafür, dass die Opfer von Kriwa, Rovenia und Nozzequa nicht umsonst gewesen waren.“
„Lass nicht die Toten für dich kämpfen, Sandra!“, bemühte sie eine alte, lomäirische Redensart, „du kannst sie nicht nach ihrer Meinung fragen, aber wenn du es könntest, würden sie dir wohl ein großes ‚Fuck you!‘ entgegenschleudern.“
„Das mag sein“, erwiderte Sandra, „aber auch die Lebenden brauchen Hilfe, wenn sie heil hier rauskommen wollen.“
„Ach, nun sind wir also bei Erpressung?“, fragte Rischah zynisch.
„Es wäre mir lieber, wenn das nicht nötig wäre“, behauptete Sandra ohne Rischahs Vorwurf zu leugnen, „aber ich muss an unsere Welt und ihre Bewohner denken. Das würdest du in meiner Situation auch tun.“
„In deiner Situation würde ich mir die Augen ausstechen, um mein Spiegelbild nicht mehr ertragen zu müssen“, giftete Rischah. Dann fiel ihr Blick auf die verbliebenen Androiden. Waren sie bislang in einiger Entfernung hinter ihnen hergegangen, hatten sie sich ihnen inzwischen unauffällig genährt und ihre Fluchtwege, wenn schon nicht gänzlich versperrt, so doch deutlich reduziert. Zwar bewegten sie sich nicht, machten keine bedrohlichen Gesten, aber das war auch nicht nötig, um Rischah die beabsichtigte Botschaft zu vermitteln: Sie war nicht länger eine Freiwillige, nicht einmal eine Soldatin oder Söldnerin. Sie war eine Gefangene.
Mangels einer rationalen Alternative gab Rischah sich geschlagen. Sie hasste Sandra und diese Leute, verachtete sie abgrundtief, aber ihr stand der Sinn nicht nach Selbstmord, sondern nach Rache. Und für die musste man leben.
„Wahrscheinlich könnt ihr uns nicht mal sagen, was genau uns dort drin erwartet, oder?“, fragte Rischah.
„Nein“, gestand Sandra ein, „Wir können den Raum nicht richtig scannen. Wir können uns schon glücklich schätzen, dass es uns gelungen ist, die Kommunikation wiederherzustellen. Wir wissen aber, dass die Störfrequenz dort ziemlich stark ist. Aus diesem Grund können wir auch die Androiden nicht mit euch reinschicken. Sie würden lediglich kaputtgehen.“
Immerhin gab es also jemanden, über dessen Schicksal sie sich Gedanken macht, dachte Rischah bitter. Sie teilte Sandras Freude über die Wiederherstellung der Kommunikation nicht. Auf ihr scheinheiliges Geplapper hätte sie gerne verzichtet.
„Also gut. Hör zu Schejtktcha!“, zischte sie eine vulgäre, lomäirische Beleidigung, „ich werde tun, was du verlangst, aber wenn ihr uns nicht unversehrt und sicher zurückbringst oder mir irgendetwas verdächtig vorkommt, werde ich beide Proben zerstören. Das verspreche ich dir.“
„Das habe ich verstanden“, erwiderte Sandra, „aber ich stehe zu meinem Wort.“
Rischah lachte kurz und bitter auf, sagte aber nichts mehr dazu.
„Leider muss ich die Kommunikation jetzt wieder unterbrechen“, verkündete Sandra unbeeindruckt von Rischahs Spott, „nehmt die Probe und kommt heil zurück. Dann sprechen wir uns wieder.“
„Können wir endlich reingehen?“, meinte Hord ungeduldig, „so langsam wird es langweilig.“
„Dann geh doch vor“, empfahl Rischah, während sie vorsorglich eine ätzende Chemikalie in sich vorbereitete, die ihr im Zweifel gegen alles möglichen Bedrohungen einen gewissen Schutz bieten könnte.
Hord lächelte überlegen, nickte und drückte die Klinke herunter.
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Diese Werte können unmöglich stimmen, dachte Garwenia. Nicht hier im Zentrum der Anomalie. Sie müssten zehnmal, nein zwanzigmal so hoch sein, wie das, was ihr über die Anzeige flimmerte. Aber dennoch warnte niemand das Einsatzteam vor der Gefahr. Garwenia erwog, ihren Zweifeln, die schon fast zu einer unheilvollen Gewissheit geworden waren, einmal mehr Ausdruck zu verleihen. Aber sie tat es nicht und das hatte einen ganz einfachen Grund: Sie glaubte nicht mehr an einen Fehler oder eine Messungenauigkeit. Dafür hatte Sandra und noch mehr Kollom und dieser unheimliche Wissenschaftler zu oft erkennen lassen, wie wenig sie sich um die Sicherheit des Teams scherten.
Hinzu kam die kryptische Bemerkung von Sandras Assistentin, die ihre Skepsis noch genährt hatte. Doch wenn es kein Fehler war und man diese Daten absichtlich gefälscht hatte, wenn man sie und die anderen Flüchtlinge lediglich als entbehrliche Handlanger betrachtete, war der einzige Grund, aus dem sie noch lebte, der, dass man sie für dumm oder leichtgläubig genug hielt, diese Lüge zu kaufen. Sie blickte in die Gesichter ihrer Teammitglieder, um festzustellen, ob sie vielleicht genauso dachten. Leider kam sie zu keinem eindeutigen Ergebnis.
Zuh war rational und zynisch genug, um den Braten zu wittern, aber das hagere, bleiche Gesicht der Loth Numorerin ließ keine verräterische Emotion erkennen. Der Echsenmann Triff war ihrer Einschätzung nach ebenfalls intelligent genug, um das Spiel zu durchschauen, aber genauso gut war es möglich, dass sich in seinem gut gelaunten Gesicht kein brillantes Schauspiel, sondern lediglich eine unbekümmerte Naivität ausdrückte, die seinem Denken manchmal im Weg stand. Regevo und Lörrond hingegen waren so von sich selbst überzeugt und von ihrem ehemaligen hohen Stand und Reichtum verhätschelt, dass sie sich wahrscheinlich nicht vorstellen konnten, dass jemand sie hinterging. Trotz ihrer Erfahrungen in Uranor.
Doch selbst wenn sie die einzige war, die die Wahrheit erkannt hatte, wie stand es dann um Sandra? Hatte die Missionsleiterin eine Ahnung, was in ihrem Kopf vorging? Hatte Garwenia es mit ihren laut geäußerten Zweifeln und ihrem Widerspruch übertrieben oder hatte sie die Treue und Dankbare, die sie ja lange Zeit wirklich gewesen war, überzeugend genug dargeboten?
Sie wusste es nicht, aber nun, da sie das Vertrauen in diese Leute endgültig verloren hatte, fiel es ihr um so schwerer, sich ihre Panik nicht anmerken zu lassen. Die armen Seelen, die da draußen für diese Lüge starben, taten ihr leid, zumal sie selbst schon genügend Leid erlebt hatte, um zu wissen, was es bedeutete, aber sie wusste auch, dass sie jede Sekunde, die sie hier länger tatenlos verweilte, mit ihrem Leben spielte. Sie musste hier raus, musste sich ein Bild von ihrer wirklichen Lage machen, auch wenn es nicht unwahrscheinlich war, dass es kein Entkommen gab. In ihre selige Blauäugigkeit könnte sie ohnehin nicht mehr zurück.
„Ich müsste mal kurz auf die Toilette, wenn es okay wäre“, meldete sie sich laut, und zufällig stimmte das auch. Die letzten Stunden waren einfach zu nervenaufreibend gewesen, um sich um derlei Bedürfnisse Gedanken zu machen und nun spürte sie schon einen gewissen Druck.
„Natürlich, Süße“, meldete sich Ara, die bullige Sicherheitschefin des Labors, „aber niemand geht allein. Ist so ‘ne Regel hier. Nur zu eurer Sicherheit.“
Inwiefern das ihrer Sicherheit diente, wollte Garwenia ganz und gar nicht einleuchten, aber aus der Perspektive von Geiselnehmern ergab diese Regel natürlich Sinn.
„Ich begleite sie“, bot Nanita überraschend an.
Sandra bedachte ihre Assistentin mit einem skeptischen Blick, erhob jedoch keinen Einwand. Garwenia hingegen war das nur recht. Zwar traute sie der unterkühlten Frau nicht zu hundert Prozent, aber zumindest war sie es gewesen, die geholfen hatte, den Schleier aus Lügen ein wenig zu lüften. Also schloss Garwenia sich Nanita an bereitwillig an und gemeinsam verließen sie das Labor.
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Rischah zuckte zusammen, jedoch nicht nur wegen der Tür, die mit einem unerwartet lauten Knall hinter ihnen ins Schloss fiel, sondern vor allem wegen dem, was sie sah. Sie hatte ein Labor erwartet. Einen mit Petrischalen, hochkomplexen Computersystemen und unbequemen Sitzgelegenheiten vollgestopften Raum, in dem sich einst die Wissenschaftler von Nutrics Industries über komplizierte Detailfragen von Geschmack, Nährwert und Textur ihre engagierten und gestressten Köpfe zerbrochen hatten. Und wahrscheinlich war das auch mal der Fall gewesen.
Jetzt jedoch war alles … in Unordnung. Die Reagenzgläser und Monitore klebten als absurd langgezogene Schlangen an den Wänden, teilweise verschmolzen und verschlungen mit Drähten, Stühlen und undefinierbaren Plastikteilen. An einigen Stellen trennten sich in einem unbeständigen Rhythmus kleine und größere Tropfen von diesem Durcheinander, die sich zischend in schillernden Pfützen auf dem Boden sammelten. An anderen Stellen, wölbte sich die Wand beulenartig ein ganzes Stück nach außen, so als wäre der Raum an Pest oder Krebs erkrankt.
Die Luft war heiß und so dick, als würde sie aus mehreren Lagen Atmosphäre bestehen und wäre Rischahs Körper nicht ohnehin für den Druck der Tiefen des Ozeans ausgelegt gewesen, hätte sie wohl ziemliche Schwierigkeiten gehabt, zurechtzukommen.
Schwarze, rote und weiße Partikel schwebten in dem Raum, jedoch nicht frei, sondern in einem breiten Wirbel, der sich auf den Schwingen peitschender Winde um das Zentrum dieser raumgewordenen Perversität drehte: Einem großen, hässlichen, fransigen Riss in der Luft, aus dem eine blaue, ölige Substanz hervorblutete, und in dem sich ein Kaleidoskop aus unidentifizierbaren Bildern hektisch abwechselte.
Rischah spürte einen Sog, eine Anziehungskraft, der sie nur schwer widerstehen konnte und tat ihr bestes, um ihre müden Muskeln zu zwingen, dagegen anzukämpfen. Sie warf einen raschen Blick zu Hord. Auch der Kannibale hatte seine Mühe mit den herrschenden Umweltbedingungen, wie sein angestrengtes Gesicht verriet, aber immerhin schien auch sein Körper vorerst dem mörderischen Luftdruck standzuhalten.
„WAS ZUR PFORTE ACRONSAS IST DAS?!“, brüllte Rischah über den tosenden Wind hinweg.
„Nicht Acronsa. Xinurajjs Mund“, erwiderte Hord kryptisch und starrte fast andächtig auf die Anomalie.
„Was blubberst du da?“, fragte Rischah, erwartete aber keine Antwort. Der Kannibale hatte ganz offensichtlich den letzten Rest an Verstand verloren. Wahrscheinlich hatte der Anblick dieses verdrehten Ortes ausgereicht, um das ohnehin fragile Gleichgewicht in seinem Oberstübchen umzustoßen. Sie hätte ahnen können, dass sie sich nicht auf die Unterstützung dieses Mörders verlassen konnte. Alles, was Rischah nun tun konnte, war ihre verfluchte Mission zu erfüllen und zu hoffen, dass Sandra ausnahmsweise ihr Wort hielt.
Sie kramte in ihrem Gepäck nach einem leeren Stasisbehälter und setzte vorsichtig und langsam einen Fuß vor den anderen, wissend, dass ein zu schnelles Tempo oder ein Fehltritt dazu führen konnte, dass sie in den Riss gesaugt wurde. Dabei blickte sie auf den Boden, um zu sehen, wohin sie trat und wäre vor Schreck beinah ins Stolpern geraten.
Unter ihr lagen Fragmente von Lebewesen. Arme, Köpfe, Tentakel, Organe, Rümpfe, Schwänze, Wurzeln, Augen, Flossen und Körperteile, für die sie nicht mal einen Namen hatte. Mal geschuppt, mal glatt, mal gefiedert, mal bespannt mit rosiger, mal mit dunkler, grünlicher oder verrottender Haut. Oft waren diese Körperteile nicht vollständig. Abgeschnitten ohne System, ohne Plan, doch wie mit dem schärfsten Messer des Multiversums. Einige der Extremitäten bewegten sich noch zuckend und ziellos, die meisten jedoch lagen als tote, organische Masse auf der Erde. Nicht gleichmäßig verteilt, sondern wie eine Rampe, die von der Eingangstür bis hinauf zum Riss führte, so als hätte ebenjener Riss sie in die Welt erbrochen.
Waren dort die schwarze Masse und die Pilzsporen hergekommen? Hatte die Bombe diesen Riss im Fleisch des Geflechts oder sogar des Zwischenraums verursacht, der nun Teile seines Lebensstroms hervorpresste? Rischah hielt das für möglich, auch wenn sie diese Theorie zutiefst erschreckte. Welche Mächte hatten Sandra und ihre Freunde gegen sich aufgebracht? War das der Grund, aus dem sie so verzweifelt waren, dass sie sogar Kriegsflüchtlinge ausnutzten und täuschten, um eine Erklärung für dieses Phänomen zu finden?
Rischah überlegte, was ihre Regierung getan hätte, wenn die Scyonen in den Besitz einer solchen Waffe gelangt wären. Sie wusste es nicht, aber sie fürchtete, dass auch sie keine Skrupel gekannt hätten. Wer in die Ecke gedrängt wird, tut alles, um zu überleben. Das macht dieses Handeln aber noch lange nicht richtig und war ganz bestimmt keine Entschuldigung für das, was man ihnen angetan hatte.
Trotzdem änderte dieser Anblick ihre Einstellung etwas. Sandra mochte eine verräterische Schlampe sein und sie gönnte ihr selbst das schlimmste Schicksal von Herzen, aber jeder, der verhinderte, dass so etwas noch einmal geschah – vielleicht auch in anderen Welten – , hatte ihre Unterstützung verdient. Sie würde diese Probe holen und sie zurückbringen. Dann konnte sie sich immer noch überlegen, wie sie Sandra ihre Behandlung heimzahlte.
Entschlossen bewegte sie sich ein paar weitere Schritte auf die interdimensionale Wunde zu, wobei die Kunst darin lag, sich auch wirklich nur ein paar Schritte zu nähern. Der Sog war inzwischen gewaltig. Der Wind pfiff wie ein wütender Gott um ihre Ohren und sie hörte ein schrilles Pfeifen, dass sich wie ein gerade noch hörbarer Ton in ihren Schädel bohrte und ihre Zooxanthellen in Unruhe versetzte.
Es fühlte sich an, als würde Rischah selbst von innen heraus vibrieren. Doch das war nicht alles, was sie hörte. Neben ihr erklang auch ein raues Husten und als sie sich zu dem Geräusch umdrehte, erkannte sie, dass es von Hord stammte. Der Kannibale hatte sich im verfickten Schneidersitz wie ein Guru in das Bett aus Leichen gesetzt, die Hände in einer absurden Gebetsgeste verschränkt und einen kleinen Schwall Blut auf seine dreckige Brust gehustet, während sein Mund ungerührt irgendwelche ihr unbekannten Worte aufsagte.
Soll er doch verrecken, dachte sie böse, erschrak jedoch zugleich, als sie selbst ein unangenehmes Kratzen in ihrem Hals und ihren Lungen verspürte. Ein aus Todesangst geborener Schwindel erfasste sie, als sie realisierte, dass der Riss womöglich nicht nur Körperteile und Sporen hervorwürgen konnte, sondern auch viel viel kleinere und gefährlichere Lebewesen.
Reflexhaft musste sie an die chemische Fabrik in ihrem Körper denken, bevor ihr einfiel, dass sie zwar gut geeignet war, um sich gegen Pilze und Parasiten zu schützen, jedoch bei Krankheitserregern keine große Hilfe war. Hier war ihre einzige Verteidigungslinie ein Immunsystem, das zwar ganz brauchbar, jedoch vor allem darauf ausgelegt war, Infektionen in Wasser und anderen Flüssigkeiten zu bekämpfen, nicht solche aus der Luft.
Doch um solche Dinge konnte sie sich später Gedanken machen. Der Riss ragte als viel größere und konkretere Bedrohung vor ihr auf. Er saugte und gierte, flimmerte in verwirrenden Farben und sie spürte sogar, wie er einige ihrer winzigen Symbionten aus ihrem Körper herauslöste. Seltsam, dachte sie, dass dieses Ding zwar Objekte und Lebewesen aus anderen Welten ausspuckt, aber alles aus dieser Welt anzusaugen scheint.
Sie ließ auch diesen Gedanken wieder los und konzentrierte sich ganz auf ihre Mission und darauf, wie sie sie möglichst schnell hinter sich bringen könnte. Sie bezweifelte, dass sie eine Probe von diesem wirbelnden Chaos würde nehmen können. Wahrscheinlicher wäre es, dass der Stasisbehälter einfach hineingesaugt werden würde, wenn sie dem Sog damit zu nah käme. Die blaue Substanz, die aus dem Riss heraussuppte, erschien ihr da schon vielversprechender. Sie streckte sich, so weit sie konnte, ohne ihren Halt aufzugeben und tauchte den Behälter in die Flüssigkeit, woraufhin sich dieser automatisch damit vollsaugte. Die Flüssigkeit zischte und brodelte zwar verdächtig und schien sich gegen ihre Gefangenschaft zu wehren, aber letztlich erwies sich die Technologie des Behälters als stärker.
Geschafft, dachte Rischah erleichtert. Zusammen mit den Umgebungsdaten und den Bildern, die ihr Anzug sicherlich aufzeichnen und bei nächstbester Gelegenheit an Sandra und die anderen schicken würde, sollte das für eine Analyse ausreichen. Jetzt musste sie nur noch aus dem Gebäude entkommen und dann wäre dieser Albtraum endlich vorbei.
Rischah wollte sich gerade umdrehen, als ein grausamer Schmerz in ihrem linken Arm explodierte. Sie hörte ihr dünnes Exoskelett und den stark kalkhaltigen Knochen darunter brechen und verlor fast den Halt. Allein mit eisernem Willen gelang es ihr, sich weiter an der Eisenstange festzuklammern. Panisch drehte sie sich um und erblickte Hord, der mit wahnerfüllten Augen erneut mit einem wohl aus der Wand gebrochenen Glasrohr ausholte.
„Xinurajj will essen. Gutes Fleisch aus der nassen Tiefe. Es ist sein Recht, so wie jeder ein Recht hat zu speisen und verspeist zu werden“, brachte Hord ekstatisch brüllend hervor, während das dicke Glasrohr in seiner Hand herabfuhr, „JEDER IST EIN GAST UND EINE GABE AN SEINER TAFEL!“
Zu ihrem Glück war Rischah schneller. In einem zerstörerischen Bombardement spuckte ihr Körper aus jeder Pore die giftige, hoch konzentrierte Säure, die sie vorbereitet hatte, direkt auf den Kannibalen. Zwar brachte dieser sich noch durch einen raschen Seitwärtssprung halbwegs in Sicherheit, jedoch verhinderte er damit nicht, dass sein halbes Gesicht und große Teile seines Körpers verätzt wurden.
Bedauerlicherweise half das Rischah aber auch nicht wirklich, denn ihr geschwächter, schmerzender, schwerverletzter Arm konnte dem Sog des Risses nicht länger standhalten. Ihre Finger rutschten ab und sie schlitterte haltlos über das glitschige interdimensionale Strandgut, bis ein größerer Haufen aus Körperteilen, sie vorerst verlangsamte.
Die chaotische, Schwindel erzeugende Bilderflut füllte nun fast ihr gesamtes Sichtfeld aus, während sie ruckelnd und zentimeterweise wie von einer unsichtbaren Hand den organischen Hügel heraufgezogen wurde. Verzweifelt packte sie mit ihrem unversehrten Arm, mitten in die blutige Masse hinein, bis sie irgendetwas Raues und Hartes fand, an dem sie sich festhalten konnte. Was es war, darüber wollte sie sich keine Gedanken machen. Entscheidend war nur, dass sie diesem Bastard das Licht ausblasen und es lebend hier rausschaffen würde. Trotz ihrer Pein benutzte sie ihren halb zerstörten linken Arm, um sich zu drehen und langsam …
Ein heftiger Tritt traf ihr Kinn und hätte wohl jedem Menschen das Genick gebrochen. Lomäine waren in dieser Hinsicht etwas flexibler gebaut, aber dennoch verlor Rischah für einige Momente das Bewusstsein.
Zeit genug für Hord. Der aus vielen Stellen seines Körpers blutende und eiternde Kannibale nahm Rischah wie eine Puppe in den Arm, nahm ihr ihren Rucksack mit den Proben ab und schleuderte sie wie ein lebendiges Wurfgeschoss auf den Riss zu.
„Speise gut, Xinurajj!“, rief Hord triumphal.
Doch genau in jenem Moment wurde Rischah wach. Hätte ihr bewusstes Denken noch die Zeit gehabt, die Situation zu erfassen, hätte sie die Aussichtslosigkeit ihrer Lage begriffen. Doch alles, was von Rischah erwachte, bevor sie in der chaotischen Dimensionswunde verschwand, war der älteste und simpelste Teil ihres Gehirns. Und dieser erkannte eine Gefahr, auf die er nur mit einer Antwort reagieren konnte: Er spuckte sämtliche Verteidigungssäfte aus, die noch in Rischahs Inneren verblieben waren, direkt in den flimmernden Riss hinein.
Nicht einmal die Archive konnten oder wollten mir darüber Auskunft geben, warum daraufhin das geschah, was nun einmal geschehen ist. War es eine bestimmte Wechselwirkung zwischen den in Rischah synthetisierten Chemikalien und einer Substanz aus einer anderen Welt, die zufällig in jenem Augenblick an der Oberfläche des Risses erschienen war? War es irgendein unbekannter magischer Effekt oder war es einfach ein zufälliger Gezeitenwechsel innerhalb der unberechenbaren Kräfte des Risses?
Nachdem er Rischahs Körper verschluckt hatte, kehrte der Sog sich jedenfalls augenblicklich um, erzeugte eine heftige Druckwelle, riss die Tür auf und spuckte nicht nur eine willkürliche Zusammenstellung fremder Körperteile, Flüssigkeiten, kleiner Tiere und Gebäudefragmente aus, sondern auch Hords Körper direkt vor die Füße der wartenden Bleigeweihten.
Die Menschen von Dank Qua lebten seit vielen Jahren in einer fast gänzlich aus Metall bestehenden Welt. Und womöglich sind es jene Metalle, die sie mit jedem fleischigen Bissen und jedem bitteren Atemzug als Nano- und Mikropartikel in sich aufnehmen, die ihre Knochen so ungewöhnlich hart machten. Anders hätte es sich nicht erklären lassen, dass Hord die Explosion nicht nur überlebte und bei Bewusstsein blieb, sondern sich auch bereits kurz danach wieder aufrappelte, die Proben wie ein geliebtes Kind in den blutigen Händen.
Dennoch war es ein mittelgroßes Wunder, dass ihm das überhaupt gelang, denn er sah nun mehr wie eine Mischung aus einem Untoten und einem Strahlenopfer aus, als wie ein kraftstrotzender Barbar aus den Maschinengärten. Abgesehen von ein paar rot- und schwarzverbrannten Stellen existierte seine Haut praktisch nicht mehr und auch sein Gesicht fehlte völlig, bis auf rohes, verätztes Fleisch, seine zerfetzten Lippen und ein intaktes, aber nun lidloses Auge.
„Xinurajj, ich bringe dir die heiligen Säfte“, krächzte Hord rau, doch als wäre diese Anstrengung zu viel für seine verschmorten Muskeln, fiel ihm kurz darauf klackend der Unterkiefer herunter.
„Hey, passen Sie auf, die Technik ist empfindlich gegen Flüssigkeiten!“, beschwerte sich Disruptor Yonis streng, als sich Triff direkt auf seine Kontrolltafel übergab.
~o~
Es war das erste Mal, seit Garwenia in dieser Welt zu Bewusstsein gekommen war, dass sie das Labor verlassen hatte. Der schmucklose Gang, in dem sie sich jetzt befand, bot ihr jedoch keinerlei aufschlussreiche Informationen über die Außenwelt und wenn sie einfach brav zur Toilette und wieder zurückging, würde sie die auch nicht bekommen. Doch was sollte sie dann tun? Nanita einweihen? Immerhin hatte sie als Erstes ein wenig Wahrheit in diese Scharade gebracht und hatte sich sicher nicht ohne Grund angeboten, sie zu begleiten. Aber was, wenn sie da etwas überinterpretierte und sie sich so erst recht verdächtig machen würde und was, wenn sie die falschen Worte wählte?
Während sie noch überlegte, was die beste Vorgehensweise wäre, hatten sie bereits eine schmale, hellgrün lackierte Tür erreicht. Verdammt, dachte Garwenia und hoffte, dass sie auf dem Rückweg mehr Mut aufbringen würde. Doch als Nanita die Tür öffnete, lag dahinter nicht die Toilette, sondern ein weiterer, langer Gang.
„Wohin gehen wir?“, fragte Garwenia.
„Ich will dich jemandem vorstellen“, sagte Nanita lächelnd und hoffte dabei, dass ihre Verabredung auch erscheinen würde. Ihr Plan, sie zu kontaktieren, war riskant und er war relativ spontan entstanden, aber Nanita lief die Zeit davon. Kolloms und Sandras Mission war fast abgeschlossen und wenn das Team die Daten erfolgreich analysieren würde, wäre sie geliefert und würde schon bald als winzige Sonne erstrahlen.
„Wem vorstellen?“, erkundigte sich Garwenia, die kein allzu gutes Gefühl bei der Sache hatte.
Nanita antwortete nicht, sondern beschleunigte ihre Schritte und berührte einen unscheinbaren Punkt in der rechten Wand. Eine versteckte Tür öffnete sich, die von der Wand nicht zu unterscheiden war.
„Hereinspaziert“, forderte Nanita Garwenia auf.
Garwenia jedoch zögerte. War das nicht die perfekte Falle? Ein diskreter Weg, sie zu entsorgen, einzusperren oder zu foltern, ohne dass es die anderen mitbekamen? Wenn Nanita ohne sie zurückkäme, könnte sie einfach erzählen, dass es einen Angriff gegeben hatte, bei dem Garwenia bedauerlicherweise ums Leben gekommen war. Und falls sie alle tatsächlich nur manipuliert worden waren, war vielleicht nicht einmal eine solche Erklärung notwendig. Wer sagte ihr, dass Nanita wirklich auf ihrer Seite und nicht auch ein Teil dieses Spiels war?
Andererseits war die Initiative, das Labor zu verlassen, von Garwenia selbst ausgegangen. Soweit sie es mitbekommen hatte, hatte sich Nanita mit niemandem abgesprochen und auch Sandra hatte nicht allzu glücklich über ihren Vorschlag ausgesehen, sie zu begleiten. Diese Überlegungen beruhigten ihren Herzschlag ein wenig, aber etwas Unsicherheit blieb.
„Klar“, überwand sich Garwenia zu antworten, „wenn du zuerst gehst.“
Nanita kicherte, „ich will Ihnen nichts tun. Ganz im Gegenteil. Ich will, dass Sie die Wahrheit erfahren, über alles, was hier gespielt wird.“
„Warum erzählst du es mir dann nicht einfach?“, fragte Garwenia, die die lockere Anrede bewusst beibehielt, da sie nie viel von solchen Förmlichkeiten gehalten hatte.
„Sie kann es besser“, erwiderte Nanita lakonisch und wies noch einmal auf den verborgenen Eingang.
Wen meint sie, fragte sich Garwenia verwirrt, folgte aber diesmal der Aufforderung und fand sich in einem kleinen, warm beleuchteten und orange gestrichenem Raum mit grün gefliestem Boden wieder. Möbel gab es hier nicht. Nur die verborgene Tür, die sich gerade wieder schloss und eine weitere, die sich kurz darauf öffnete.
Diese Tür offenbarte eine selbstbewusste, hochnäsig dreinblickende Bravianerin in einem edlen, bravianischen Zeremoniengewand, deren überheblich-kühles Antlitz sich bei Garwenias Anblick binnen weniger Sekunden in einen extrem überraschten Gesichtsausdruck verwandelte. Nein, das wäre untertrieben. Die Fremde war nicht überrascht. Sie war fassungslos, überwältigt, ekstatisch.
„Dravra Garwenia, kann es wahr sein?“, begrüßte sie die unbekannte Bravianerin, „ihr solltet tot sein. Lange schon. Und doch … steht ihr hier vor mir.“
Diese Reaktion übertraf Nanitas Erwartungen bei weitem. Sie hatte gehofft, dass in der knallharten Exilantin eine Schwäche für die Angehörigen ihres Volkes steckte, aber dass sie hier offenbar eine Berühmtheit beherbergten, damit hätte sie nicht gerechnet.
„Wer seid ihr und woher kennt ihr meine Identität? Es muss Jahrzehnte her sein, dass ich zuletzt in Braviania gewesen bin“, antwortete Garwenia, „ich sah die blühende Sande meiner Heimat nicht mehr seit … seit der Expedition.“
„Mein Name ist Travenia Sigral, aus der Uniga-Kaste“, erwiderte die Frau, „und eure Expedition ist sogar schon mehr als hundert Jahre her. Doch euer Sohn … Dravra Zoklar hat euer Bildnis in Stein meißeln und in jeder großen Stadt aufstellen lassen. Jeder in den höheren Stadtzirkeln kennt euer Gesicht.“
„Warum?“, fragte Garwenia, „ich bin keine Heldin. Nur eine Frau, die weder Mutter noch Herrscherin sein wollte. Eine Frau, die den Tod suchte und ihn viel zu lange nicht fand.“
„Nun, den Tod können Sie hier finden, falls Sie ihn immer noch suchen“, bemerkte Nanita, die langsam etwas ungeduldig wurde, „wenn nicht, sollten wir uns lieber beeilen.“
Garwenia drehte sich zu Nanita um und sah sie an, als hätte sie vergessen, dass sie überhaupt da gewesen war. Tatsächlich war dem so. Für einen Moment war es Garwenia wirklich vorgekommen, als wäre sie zurück am Sternenhof von Braviania.
„Dann sag es mir, Nanita“, forderte sie die Deovani auf, „Was läuft hier wirklich? Warum schwebe ich in Gefahr?“
Travenia warf Nanita einen warnenden Blick zu, doch Nanita kümmerte das nicht. Sie wusste selbst, dass sie MKH mit diesem Geheimnisverrat schaden würde, aber ihre Übereinkunft mit Torvilla und ihr Wunsch nicht der Gagitsch-Transformation unterworfen zu werden, waren von höherer Priorität.
„Sie werden Sie vernichten“, eröffnete Nanita, “Sie und die anderen Flüchtlinge. Sobald die Analyse der Proben abgeschlossen ist und Sie nicht länger von Nutzen sind. Wir sind keine heldenhafte Nation im Krieg. Wir sind ein Unternehmen, das billige Arbeitskräfte benötigt. Und diese Bombe haben wir selbst abgeworfen, um sie zu testen. Allerdings ist der Test nicht so gelaufen wie erhofft und wir mussten in Erfahrung bringen, warum, ohne wertvolle Ressourcen zu verschwenden. Dabei waren Sie uns sehr nützlich.“
„Warum erzählst du mir das?“, fragte Garwenia mit belegter Stimme, „und warum hilfst du mir?“
Die Bestätigung ihrer vagen Befürchtungen drückte Garwenia schwerer auf ihr Gemüt, als sie erwartet hatte. Manche sagen, dass Optimisten anfälliger für Enttäuschungen sind. Aber das stimmte nicht. Pessimismus linderte die Wucht der Realität kein Stück.
„Weil ich einen Vorteil davon habe“, sagte Nanita ganz offen. Sie hatte keine Lust sich noch länger zu verstellen, „das ist der einzige Grund, aus dem in dieser Welt irgendetwas getan oder gesagt wird. Wir sind in Deovan meiner Liebe, praktisch dem Wallfahrtsort des Egoismus. Aber das muss Sie nicht sorgen. Lebendig sind Sie mir nützlicher als tot.“
„Und worin besteht diese Nützlichkeit? Was genau soll ich für dich tun?“, fragte Garwenia, verblüfft von so viel Ehrlichkeit.
„Ihre Arbeit. Ganz wie geplant“, sagte Nanita, „nun, in gewisser Weise zumindest. Untersuchen Sie die Daten mit Ihrem Team, weihen Sie sie ein, wenn Sie wollen, aber zögern Sie den Analyseprozess so lange hinaus, wie nur möglich. Und falls Sie Erkenntnisse gewinnen, dann schweigen oder lügen Sie. Vor allem gegenüber Sandra, Kollom und Disruptor Yonis. Was Sie über die Bombe und die Anomalie herausfinden, berichten Sie allein mir … oder Travenia. Wenn es sich ergibt.“
„Und welche Rolle habe ich in diesem Spiel?“, fragte Travenia skeptisch, „warum haben Sie mich in Ihr Vorhaben eingeweiht?“
„Wir müssen wissen, was Kollom und seine Vertrauten vorhaben. Wann und wie genau sie Garwenias Tod und den der anderen planen. Als Aufsichtsratsmitglied haben Sie Zugang zu den erweiterten Überwachungsprotokollen. Sie könnten damit jedes geflüsterte Wort und praktisch jeden Gedanken aus Kollom, Sandra und Yonis heraussaugen. Torvilla könnte mir wahrscheinlich auch helfen, aber die wird sich nicht um den Tod von ein paar Flüchtlingen scheren. Sie hingegen womöglich schon. Zumindest, was Ihre kleine bravianische Berühmtheit betrifft.“
Travenia sah erst Garwenia und dann Nanita nachdenklich an. „Sie wissen, dass ich damit meine Befugnisse überschreiten würde. Ich habe zu wenig Anteile an MKH, um solche Maßnahmen ohne Absprache mit den anderen Aufsichtsratsmitgliedern veranlassen zu dürfen.“
„Sie dürfen es vielleicht nicht. Aber Sie können es“, erwiderte Nanita, „und wenn Sie dazu beitragen, Kollom Nehmer aus dem Unternehmen zu entfernen, würde sich sicherlich niemand um so eine kleine Kompetenzüberschreitung kümmern.“
„FALLS es gelingt, ihn zu entfernen“, betonte Travenia, „in jedem Fall bleibt es ein großes Risiko für mich.“
„Eines, dass sie für Dravra Garwenia sicherlich gerne eingehen“, entgegnete Nanita und etwas in Travenias Gesicht verriet ihr, dass sie damit womöglich den Bogen überspannt hatte.
„Ich bin eine Exilantin, keine Untertanin des bravianischen Hofes“, sagte Travenia bestimmt, „und ich bin nicht ohne Grund nach Deovan gegangen. An einen Ort, an dem ich mich nicht dafür schämen muss, auf MEINE Interessen zu achten. Ich habe großen Respekt vor euch, Dravra Garwenia und anders als ihr selbst, halte ich euch für eine Heldin. Aber ich schulde euch keine Treue, keinen Gehorsam und keine Gefolgschaft. Letztlich seid ihr für euch selbst verantwortlich. So wie jeder von uns.“
„Also werden Sie uns nicht helfen?“, fragte Nanita.
„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte Travenia, „aber wenn ich es tue, will ich die Konsequenzen gut durchdacht haben. Ich werde Sie und Ihre Pläne nicht verraten. So viel kann ich versprechen. Aber über alles andere muss ich mir erst Gedanken machen. Falls ich Sie unterstütze und etwas erfahre, werde ich es Sie wissen lassen. Bis dahin wünsche ich Ihnen viel Glück und Drava Garwenia: Lankres Zondaun!“
Sie verbeugte sich und verließ den geheimen Meeting-Raum ohne ein weiteres Wort.
~o~
„Das war keine große Hilfe“, kommentierte Garwenia resigniert, während sie zurück zum Labor gingen nachdem sie zuvor noch schnell die Gelegenheit genutzt hatte, wirklich auf Toilette zu gehen.
„Machen Sie sich nicht zu viele Sorgen“, meinte Nanita, „Travenia hat ihren Stolz und der verbietet ihr, zu schnell nachzugeben. Aber sie respektiert sie. Das hat sie nicht nur gesagt, sondern auch offen gezeigt.“
„Geld und Macht respektiert sie mehr“, bemerkte Garwenia.
„Auch davon wird sie mehr gewinnen, wenn Kollom Nehmer fort ist“, versuchte Nanita sie zu beruhigen, „seine Anteile werden dann gleichmäßig auf die anderen Aufsichtsratsmitglieder übergehen und das würde für sie nicht nur mehr Macht, sondern auch ein großes Vermögen bedeuten. Es gibt keinen rationalen Grund für sie, uns nicht zu helfen.“
„Außer dem Risiko“, meinte Garwenia.
„Risiken gehen wir hier ständig ein“, erwiderte Nanita, „jeder Atemzug in Deovan ist eines. Aber dieses hier ist gar nicht so groß, wie Travenia behauptet und das weiß sie selbst auch. Torvilla wird sich nicht gegen Travenia wenden, nicht wegen eines kleinen Formfehlers, wo sie doch ein gemeinsames Ziel teilen.“
„Also sollen wir einfach so verfahren, als wenn sie uns ihre Unterstützung versichert hätte?“, erkundigte sich Garwenia, „auch wenn das bedeutet, dass jeden Moment ein Todeskommando hereinkommen und mich erledigen könnte.“
„Solange sie mit der Analyse beschäftigt sind, wird das nicht geschehen“, versuchte Nanita sie zu beruhigen.
„Ach meinen Sie wirklich?“, entgegnete Garwenia, „ich denke eher, dass sie irgendwann ungeduldig werden, wenn ich ihnen kein brauchbares Ergebnis liefere und wenn das der Fall ist, werden sie jemanden wie mich mit Sicherheit als erstes beseitigen. Immerhin habe ich oft genug Kritik geübt und unser gemeinsamer ‘Toilettenbesuch’ trägt ja auch nicht gerade dazu bei mich unverdächtiger erscheinen zu lassen.“
„Dann werden sie dieses Wagnis wohl eingehen müssen“, sagte Nanita, „vielleicht können sie ihre Zweifel mit der Tatsache lindern, dass sie keine andere Option haben. Ich und Travenia sind alles, was zwischen ihnen und dem sicheren Tod steht. Sie MÜSSEN uns also vertrauen.“
Nanita lächelte kühl. Dann öffnete sie die Labortür und beendete damit das Gespräch.
~o~
Sandra konnte Triff gut verstehen. Auch wenn es ihr irgendwie gelungen war, ihren kargen Mageninhalt bei sich zu behalten, verging ihr bei dem Anblick von Hord doch jeglicher Appetit.
„Die Werte sind im hochroten Bereich“, bemerkte Zuh, „jeder in diesem Gebäude wurde einer mehrfachen, tödlichen Strahlendosis ausgesetzt. Von den möglichen Wirkungen der Geflechtenergie und der magischen Strahlung ganz zu schweigen.“
Auch diese Erkenntnis ließ Sandra nicht kalt. Zumal sie wusste, dass Yonis die Werte manipuliert und in etwa durch zehn geteilt hatte, bevor er sie an das Basisteam weitergab. Wieder dachte Sandra an das Röhrchen in ihrer Tasche. Hätte sie den Delimiter vorhin genommen, hätte sie diese Katastrophe vielleicht verhindern können. Nun war es wahrscheinlich zu spät. Sie sah auf die erloschenen Lebenswerte von Kriwa, Rischah, Nozzequa und Rovenia und war der Verzweiflung verdammt nahe.
„Wie lange wird er durchhalten?“, fragte Sandra bemüht neutral, „sollen wir den Androiden lieber befehlen, die Proben zu übernehmen?“
„Die schaffen es nicht die Treppe hinunter“, erinnerte Lörrond, „wir können nur hoffen, dass es Hord irgendwie gelingt.“
Sandra beobachtete skeptisch, wie sich der noch immer entschlossene, aber verbrannte Körper des Kannibalen stolpernd vorwärtsschleppte. Beständig rannen kleine Tropfen an Blut, Eiter und anderen Körperflüssigkeiten an ihm hinab, die sich als schleimige Spur auf dem Boden sammelten.
Sandra wechselte einen raschen Blick mit Yonis und Kollom, die beide alles andere als begeistert aussahen. Bei Kollom bemerkte sie zudem Enttäuschung, bei Yonis blanke Wut.
„Wir befehlen ihnen, ihn zu stützen“, entschied Sandra, „zumindest bis zur Treppe. Er muss seine Kräfte schonen.“
Auch wenn sie ihnen ansah, dass die meisten kurz davor standen, ihren Dienst zu quittieren, gehorchten die verbliebenen Mitglieder des Basisteams und gaben den Befehl weiter. Die Bleigeweihten hoben daraufhin den Kannibalen wie eine glitschige Puppe in die Höhe. Anfangs wehrte Hord sich schwach und brabbelte unverständliche Laute mit seinem halben Mund, doch als er bemerkte, dass die beiden Kolosse ihn in die von ihm gewünschte Richtung trugen, entspannte er sich und auch von Sandra fiel ein winziger Teil ihrer Nervosität ab. Die Chancen, dass dieses Wrack, dessen Vitalwerte immerhin noch etwas besser aussahen als sein Körper, es schaffen würde, die Proben zum Transporter zu bringen, stiegen so wenigstens um ein paar Prozent.
In diesem Moment öffnete sich die Tür und Nanita kam endlich mit Garwenia herein. Sandra hatte keine Ahnung, was genau die hinterhältige Schlampe so lange mit der Bravianerin getrieben hatte, aber im Moment hatte sie leider andere Sorgen.
„Wo habt ihr die ganze Zeit gesteckt?“, fragte Sandra ungeduldiger als geplant, „wir befinden uns in einer kritischen Phase. Wir haben keine Zeit für Trödeleien. Da draußen stirbt unser Team!“
„Nicht nur da draußen“, sagte Nanita, „Garwenia hatte einen Ohnmachtsanfall. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich sie nicht begleitet hätte.“
Sandra wusste nicht, was sie von dieser Geschichte halten sollte, aber das Garwenia ziemlich blass aussah, stand zumindest außer Frage.
„Das tut mir leid“, sagte Sandra mitfühlend, da sie sich an ihre Rolle als gütige Kämpferin für die Gerechtigkeit erinnerte, „fühlst du dich denn in der Lage zu arbeiten?“
„Es geht schon“, sagte Garwenia und nahm ihren Platz wieder ein.
„Bei den Sanden von Rihoi, was ist hier passiert?!“, fragte Garwenia, als sie Hords erbärmliche Gestalt auf dem Monitor erblickte.
„Es hat einen Zwischenfall bei der Untersuchung der Anomalie gegeben“, erklärte Sandra, „Rischah wurde offenbar von ihr verschlungen. Hord konnte die Proben retten und ist nun der letzte Überlebende des Außenteams. Auf ihm ruhen all unsere Hoffnungen.“
„Überleben würde ich das nicht nennen“, befand Garwenia, „haben wir irgendeine Möglichkeit sein Leiden zu beenden?“
„Das können wir nicht“, sagte Sandra, „noch nicht. Andernfalls wären die Proben verloren. Unser Transporter wartet in der Tiefgarage unterhalb dieser Treppe. Er muss es nur bis dorthin schaffen und dann mit den Proben zu uns kommen. Vielleicht können wir ihn dann sogar noch heilen.“
Garwenia schwieg und tat ihr Bestes, um sich ihre Abscheu nicht anmerken zu lassen. Sie konnte sich keine medizinische Behandlung vorstellen, die in der Lage wäre, dieser Ruine von einem Mann wieder zu irgendeiner Form von Leben zu verhelfen. Und selbst wenn es sie gab, so war sie sich inzwischen sicher, dass sie hier niemand anwenden würde.
Mittlerweile hatte Hord mithilfe der Bleigeweihten die Treppe erreicht, als sein Kopf plötzlich eine kleine Blutfontäne erzeugte und sein linkes Auge auf die zehnfache Größe anschwoll. Wässrig und unförmig hing es aus seinem Gesicht und musste für seine unnatürliche Ausdehnung Teile seines Schädels oder vielleicht auch seines Gehirns zerquetscht oder zumindest verdrängt haben. Dennoch hielt der Mann noch immer am Leben fest.
„Eine spontane Mutation“, vermutete Zuh, „kein Wunder bei diesen Werten.“
„Lasst ihn herunter“, befahl Sandra und die Bleigeweihten ließen den Kannibalen vorsichtig auf dem Treppenabsatz hinab, wo er zwar zunächst kraftlos zusammenbrach, es ihm aber immerhin gelang, sich irgendwie wieder aufzurichten.
Jeder im Labor hielt den Atem an, als Hord, den sie allein noch über die Helmkameras der Androiden beobachten konnten, mit zitternden Knien erst eine und dann die nächste Stufe betrat. Entgegen jeder Wahrscheinlichkeit schleppte sich der Dreivierteltote weiter vorwärts. Das ging so lange gut, bis er eine Stufe mit einem klaffenden Loch erreichte, neben dem Rovenias Leichnam in ihrem immer noch halbwegs intakt scheinenden Anzug lag.
Zwar gelang es Hord irgendwie, das Hindernis zu überwinden, indem er sich auf Hände und Knie niederließ und vorsichtig um das Loch herum manövrierte, sein Verhängnis kam jedoch aus einer anderen Richtung.
Die vermeintlich tote Rovenia erhob sich blitzschnell und stieß den bedauernswerten Kannibalen in die gähnende Öffnung hinein. Dies tat sie jedoch nicht mit ihren Händen, sondern mit einer hässlichen, krummen, von Eiterbeulen bedeckten Fleischpeitsche, die aus ihrem Oberarmstumpf wuchs und die man nicht als Tentakel bezeichnen konnte, ohne jeden Kopffüßler damit aufs Tiefste zu beleidigen.
„Nein!“, schrie Sandra, die die Proben verloren glaubte, bis sie bemerkte, dass sich Rovenia mit einem weiteren Auswuchs den Rucksack des Kannibalen geschnappt hatte, noch bevor dieser in die Tiefe gestürzt war.
„BRINGT MICH HIER RAUS!“, verlangte eine blubbernde, irgendwie verwässert klingende Stimme, die nur entfernt mit der von Rovenia zu tun hatte, „Heilt mich! Befreit mich von diesem … diesem Zustand!“
Sandra fiel ein Stein vom Herzen, angesichts dieser unappetitlichen, aber für sie doch günstigen Entwicklung.
„Sie lebt. Verdammt, sie lebt. Schaltet ihre Helmkamera wieder ein“, verlangte sie und auch wenn der Großteil des Basisteams noch paralysiert von dieser Horrorshow war, folgte zumindest Zuh ihrer Aufforderung.
Das blutbeschmierte Sichtfeld von Rovenia, welche sich langsam wieder erhob, kehrte zurück auf dem Monitor. Die Kameras der Bleigeweihten zeigten dabei die Rückseite ihres löchrigen Anzugs, in dem sich eine große, fransige Bisswunde befand, deren Wundränder sich zu einem grünen, schuppigen Krater verfestigt hatten. Ihre Armauswüchse ragten wie gefrorene Wasserfontänen aus ihrem Fleisch und hingen schlaf auf der Erde.
„Wir werden dich wieder in Ordnung bringen, hörst du Rovenia“, versprach Sandra aufmunternd, „dort unten, ganz am Ende der Treppe liegt eine Tiefgarage. Dort wartet unser Transporter bereits auf dich. Du musst nur einsteigen, dann fährt er dich automatisch zur Basis zurück und unsere Mediziner können sich um dich kümmern.“
„Nicht dort hinab“, wimmerte Rovenia undeutlich, „da ist der Gott. Das Ungeheuer aus Arkronsa. Ein Zemore. Ein verfluchter Zemore. Er und seine Diener fressen alles. Alles, was lebt und was stirbt.“
„Es gibt kein Ungeheuer“, beruhigte Sandra, die kaum etwas von Rovenias Gerede verstand, „dort waren nur Gase. Halluzinogene. Vielleicht ein Verteidigungsmechanismus des Gebäudes, um Einbrecher zu verschrecken. Die Gase haben euch Dinge sehen lassen, die nicht da waren. Aber sie sind fort. Es ist nur noch ein Treppenhaus. Nicht mehr.“
Die mutierte Bravianerin, deren Gesicht man dankenswerterweise nicht erkennen konnte, stand noch einige Momente zweifelnd da. Dann gab sie sich einen Ruck und begann ihren Abstieg.
~o~
„Das hätte wirklich schiefgehen können“, meinte Kollom zu Sandra, während sie gemeinsam auf die bald bevorstehende Einfahrt des Transporters warteten, der Rovenia und die Proben beherbergte, „ich verstehe nicht, warum Sie den Delimiter nicht benutzt haben.“
„Ich wollte es aus eigener Kraft schaffen“, verteidigte sich Sandra.
„Sie haben es noch immer nicht begriffen, oder?“, fragte Kollom, „der Delimiter nutzt nur Ihre eigene Kraft. Er ist kein künstliches Enhancement, noch ist es eine Droge.“
„Hab ich den Job denn wirklich so schlecht erledigt?“, fragte Sandra, die gerade wirklich keine Lust hatte, sich die Benutzung des Gerätes aufschwatzen zu lassen.
„Disruptor Yonis hält den Einsatz für eine totale Katastrophe“, erwiderte Kollom ausweichend.
„Und Sie?“, hakte Sandra nach.
Kollom überlegte. „Ich bin mehrere Tode gestorben. Immerhin geht es hier um meine Zukunft und auch um die von Astrera. Aber ich muss auch sagen, dass sie viel Kreativität, enorme Rücksichtslosigkeit und ein Talent zur Demagogie bewiesen haben. Natürlich müssen Sie noch an Ihrer Effizienz arbeiten – immerhin haben wir das gesamte Außenteam und fast alle Bleigeweihten verloren.“
„Nicht das gesamte Team“, meinte Sandra spitzfindig, „Rovenia lebt noch.“
Kollom bedachte sie mit einem amüsierten Schmunzeln, bevor er fortfuhr. „Wie dem auch sei. Ich bereue nach wie vor nicht, Ihnen diese Aufgabe übertragen zu haben und Yonis’ Geringschätzung bedeutet in diesem Kontext nicht viel. Er schätzt so ziemlich jeden gering und ich werde mich weiterhin für Sie verbürgen. Dennoch ist unsere Arbeit noch nicht beendet. Wir müssen diese Proben analysieren und herausfinden, warum genau unsere Bombe diese katastrophalen Nebenwirkungen hatte und wie wir dies in Zukunft verhindern können. Selbst wenn wir dann noch keinen physisch existenten Prototypen haben, dürfte es Torvilla und ihren Speichelleckern schwerfallen, mich aus dem Vorstand zu drängen.
Damit das aber funktioniert, ist es unerlässlich, dass Sie diesen Sauhaufen im Griff behalten. Gerne mit Ihren subtilen Methoden, notfalls aber auch mit roher Gewalt. Sicher ist Ihnen nicht entgangen, dass der Unmut im Team wächst. Sie werden Ihre Geschichte nicht mehr lange kaufen. Zumindest Garwenia tut das wahrscheinlich schon lange nicht mehr. Da bin ich mir ziemlich sicher, umso mehr, nachdem sie mit Nanita allein gewesen ist. Noch so ein Fehler, den Sie sich leider geleistet haben. Garwenia hätte lieber eine Bleigeweihte werden sollen. Sie hatten natürlich recht, sie IST schlau. Doch leider auch schlau genug, um sich mit Nanita zu verschwören.“
„Meine Sie wirklich, dass das der Fall ist?“, fragte Sandra.
„Ach kommen Sie schon. Warum sonst, sollte sie sie auf Toilette begleiten wollen?“, entgegnete Kollom, „das ist im Grunde lächerlich offensichtlich, auch wenn es natürlich ihre einzige Option war, um sie ins Vertrauen zu ziehen, da sie dort Möglichkeiten hatte, sich der lückenlosen Überwachung zu entziehen. In jedem Fall sollten sie Garwenia gut im Auge behalten. Und sobald sie uns die nötigen Erkenntnisse geliefert haben – die Yonis natürlich auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen wird – müssen sie und die anderen restlos beseitigt werden.“
„Ist das wirklich nötig?“, erwiderte Sandra, die der Gedanke an die Opferung der schönen Bravianerin nicht gefiel, „wäre das keine Verschwendung von Ressourcen? Immerhin wollen Sie doch, dass wir effizient agieren.“
Kollom grinste, bevor er wieder betont ernst wurde. „Sie zu behalten, wäre nicht effizient. Sie würden schon sehr bald das volle Ausmaß ihrer Lage realisieren und dann müssten wir sie entweder aufwendig zum Arbeiten zwingen und durchfüttern oder sie für ihre Dienste bezahlen. Zudem kosten das Mittel, das ihren Verstand aufrechterhält, eine Menge Geld und die aktuelle Dosis verliert in ein bis zwei Wochen ihre Wirkung. Nein, Geberin Sandra, Garwenia ist im Grunde wertloses Material. Dass wir sie und die anderen Flüchtlinge verwendet haben, lag vor allem daran, dass sie keine Geheimnisse nach außen tragen können und dass sich niemand um ihr Schicksal schert. Normale Angestellte haben in Deovan natürlich ebenfalls nicht viele Rechte, aber wenn Firmen sie allzu schnell verheizen, schreckt das durchaus ein paar Talente ab.“
Sandra lag eine Erwiderung auf der Zunge. Sie hatte sich eigentlich nicht für Garwenia eingesetzt, nur um sie am Ende doch opfern zu müssen. Sie mochte diese Frau irgendwie. Zum einen, weil sie um ihre Geschichte wusste und ihre mentale Stärker bewunderte, zum anderen, weil sie sich oft insgeheim vorgestellt hatte, wie es wäre, sie als Gespielin zu behalten. Nicht durch plumpe Verträge und Zwänge, wie Nanita es bei ihr versucht hatte, sondern mit Charme, Psychologie und Führungsqualitäten. Warum es so war, wusste sie nicht genau. War das schon immer Teil ihres Wesens gewesen? Hatte Nanitas Verhalten auf sie abgefärbt? Wollte sie ihre eigene erlittene Demütigung und Machtlosigkeit kompensieren, indem sie andere ausnutzte? Sie konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Sie wusste nur, dass ihr nicht an Garwenias Tod gelegen war.
Verzweifelt suchte sie nach Argumenten, die unter dem kalten Auge des gnadenlosen deovanischen Nützlichkeitsdenken bestehen würden, aber bevor ihr etwas einfallen konnte, fuhr der Transporter mit einem leisen Surren ein.
„Sehen wir mal, was für Geschenke Rovenia uns mitgebracht hat“, sagte Kollom und stellte seinen Manifestor offen vor sich ab.
„Öffnen!“, befahl Kollom.
Die Türen der Transportdrohne, an deren etwa kleinbusgroßen, stromlinienförmigen, torpedoähnlichen Konstruktion eine dicke Staubschicht klebte, glitten beinah geräuschlos auf und ein widerlicher Gestank nach abgestandener Luft, heißem Metall und entzündetem Fleisch schlug ihnen entgegen. In der Öffnung stand Rovenia. Ihr Anzug zerfetzt, ihr Kopf so groß und schwer wie ein Medizinball. Darin zwei von Tränen und Schrecken erfüllte Augen, das eine so groß wie ein Tennisball, das andere etwa fußballgroß. Ihre Beine ein einziger Klumpen geschmolzenen Fleisches. Ihr warziger, aufgeblähter, von gelblichen und blauen Läsionen bedeckter Torso eingerahmt von dutzenden, peitschenden Auswüchsen, von denen zwei sich um die beiden Stasisbehälter klammerten, als wären es ihre erstgeborenen Kinder.
„Heilt mich“, tropfte es wimmernd und flehend von leidgetränkten, schlauchdicken Lippen, „Bitte!“
„Vielleicht“, sagte Kollom entspannt, während er den Gestank von seinem Gesicht wegfächerte, „aber erst geben Sie mir die Proben.“
„NEIN!“, blubberte Rovenia zornig und streckte drohend einige ihrer Auswüchse aus dem Transporter, „ihr … heilt mich … gebt mir irgendwas … um … mich zu retten … ich habe … alles riskiert … alles verloren … für euch. Ihr helft mir oder … ich zerstöre die Proben!“
„Ich lasse mich nicht erpressen, Have-Non“, sagte Kollom ungerührt und betätigte den Manifestor mit seinem Fuß. Die Frau verschwand und die beiden Stasisbehälter fielen sanft zu Boden.
„Was geschieht nun mit ihr?“, fragte Sandra, während Kollom die wertvollen Proben einsammelte.
„Sie könnte nützlich sein, wenn ich mal jemanden erschrecken muss“, kicherte Kollom. Dann gingen sie zurück ins Labor.
~o~
„Was ist aus Rovenia geworden?“, fragte Regevo, als Kollom und Sandra mit den Proben zurückkehrten.
„Sie befindet sich in medizinischer Behandlung“, erklärte Sandra, „wir wissen nicht, ob wir ihr helfen können – ihr alle habt sie ja gesehen – aber wir werden unser Möglichstes tun. Sobald wir Neuigkeiten über ihren Zustand haben, werden wir sie euch mitteilen.“
Sandra sah automatisch in Garwenias Gesicht, um ihre Reaktion einzuschätzen, doch die Mine der Bravianerin zeigte keine Zweifel an ihrer Erklärung, sondern lediglich ein mildes, erwartbares Bedauern.
„Bis dahin wartet Arbeit auf uns“, erklärte Kollom und präsentierte die beiden Stasisbehälter mit der schwarzen Substanz und dem blauen „Blut“, die das Außenteam buchstäblich unter Einsatz seines Lebens mitgebracht hatte, „wir müssen die Proben analysieren und herausfinden, warum der Einsatz dieser Bombe so verheerende Konsequenzen hatte und wie wir uns in Zukunft dagegen verteidigen können.“
„Wann kommen wir endlich hier raus?“, meldete sich Triff zu Wort, „wir haben euch gerne geholfen, aber ich habe nicht vor, den Rest meines Lebens in diesem Labor zu verbringen. Krieg hin oder her – ich will wieder einen Himmel sehen und frische Luft atmen und – wenn es irgendwie geht – in meine Heimat zurückkehren.“
„Selbstverständlich“, sagte Sandra, „und wir werden dafür sorgen, dass du – dass ihr alle – das bald könnt. Der Krieg ist noch nicht vorbei, aber wir werden natürlich nicht von euch verlangen weiter diesen Kampf für uns zu kämpfen, der nicht der eure ist. Wer will, kann natürlich bleiben, gegen eine gute Entlohnung. Aber für alle anderen organisieren wir schon bald ein Transportschiff, das sie an einen Ort ihrer Wahl bringt. Alles, worum wir euch vorher bitten, ist diese Analyse zu Ende zu bringen. Dann steht es euch frei, zu gehen!“
„Ich will jetzt hier raus. Nicht irgendwann!“, beharrte Triff, „wir haben genug für euch getan und ich habe genug Unschuldige sterben sehen. Es reicht, verdammt! Das, was ihr hier macht, ist nicht besser als eine Geiselnahme.“
„Ihr habt geschworen uns zu unterstützen!“, erwiderte Sandra scharf, „ihr alle hättet gehen können, aber ihr habt euch entschieden zu bleiben. Es war eure Wahl. Das ist keine Geiselnahme. Das ist eine Frage der Ehre und des Anstands.“
„Was wisst ihr schon von Anstand?!“, wütete Triff, „hattet ihr etwa Anstand, als ihr das Außenteam mit miserabler Ausrüstung in eine Todeszone geschickt habt? Niemand von uns wusste wirklich, worauf er sich da einlässt und ich bin sicher, Rovenia und die anderen würden auf deine schönen Reden spucken, wenn sie noch leben würden.“
„Rovenia lebt noch“, erinnerte Sandra.
„Das behauptet ihr“, erwiderte Triff, „gesehen hat sie seit ihrer Rückkehr keiner von uns. Und selbst, wenn du die Wahrheit sagst, dann glaube ich keine Sekunde daran, dass ihr sie heilen könnt oder werdet.“
„Ich kann Sie ins Behandlungszimmer bringen“, bot Yonis an, „dann können Sie sich selbst davon überzeugen, dass wir nicht lügen und dann gerne gehen, wenn Sie es immer noch wollen. Aber wir können nicht für Ihre Sicherheit garantieren. Wenn Sie gehen, sind Sie auf sich allein gestellt.“
Garwenia warf Triff einen warnenden Blick zu, der Sandra und auch Kollom nicht entging, den der Echsenmann jedoch offenbar nicht bemerkte.
„Das ist mir egal“, antwortete er entschlossen, „alles ist besser als dieses verlauste Labor!“
Yonis nickte und begleitete Triff zur Tür hinaus. Seine Seitengesichter lächelten. Jedoch musste man schon sehr gutgläubig sein, um dieses Lächeln als freundlich zu interpretieren. Triff war es offenbar. Oder er war einfach nur verzweifelt.
„Also gut“, sagte Sandra, als die beiden das Labor verlassen hatten, „dann hoffe ich sehr, dass wir Triff überzeugen können zu bleiben und dass der Rest von euch sein Versprechen halten will. Mir tut es selber leid, dass wir euch da so unter Druck setzen, aber für uns geht es nun einmal um Leben und Tod.“
Sie blickte in die Gesichter der verbliebenen Mitarbeiter. Keiner von ihnen meldete sich zu Wort, doch auch wenn sie sich darum bemühten, eine neutrale Mine zu bewahren, war Sandra klar, dass von ihrer Cover-Story nicht mehr allzu viel übrig war. Spätestens Triff hatte ihr den Gnadenstoß versetzt. Doch solange sie von den Flüchtlingen bekamen, was sie wollten, sollte ihr das recht sein. Die Operation war ohnehin bald abgeschlossen.
Sandra nahm die Proben und steckte jede davon in einen der Scanner, die, wie sie wusste, in der Lage waren, die Substanzen auch durch das Schutzglas hindurch zu erfassen. Kaum, da sie die Stasisbehälter abgestellt hatte, bewegten Ringe aus grünem Licht millimeterweise über die Objekte. Zusätzlich speiste Sandra die Umgebungsdaten aus Rischahs Anzug ein, sparte jedoch bewusst die Video- und Tonaufnahmen aus.
Kurz darauf flackerten die ersten Daten über die Bildschirme und die Analyse begann.
~o~
„Was tust du da?“, fragt Tarena.
Any hatte mit ihrem Pendel eine große, gläserne, geriffelte Scheibe heraufbeschworen und lässt selbiges nun in einem komplizierten Muster darüber kreisen. Während sie das tut, gravieren sich feine, weiße Linien in das Glas und Adrian beginnt damit, schneller zu sprechen und wie ein lebendig gewordener Computer eine Reihe von Werten auszustoßen. „Luftdruck von Laborkammer an Position x45, y431 bei 29 Bar, örtliche Mantianz bei 3056,46 Nurn, Plectarität der Substanz in Stasis-Probe 1 bei 66,25 Kilo-Rinan, …:
„Du wolltest diese Daten, oder?“, begreift Tarena, „die Daten für diese Waffe. Nur deshalb haben wir uns diese ganze Geschichte angehört.“
„Nicht allein deshalb“, sagt Any, ohne den Blick von der Scheibe zu nehmen, „Adrians gesamte Erlebnisse sind ein Schatz, dessen Wert man nicht hoch genug bemessen kann. Aber ja, das Wissen um Projekt Gargona ist bedeutend und muss besonders sorgfältig aufbewahrt werden. Die Ordnung vieler Welten kann davon abhängen.“
„Macht Sinn“, meint Tarena sarkastisch, „Ordnung hat man schon immer am besten durch Bomben hergestellt.“
„Würdest du einem Vergifteten eine höhere Dosis des Giftes geben, an dem er leidet?“, fragt Any mysteriös.
„Nein, natürlich nicht“, erwidert Tarena verwirrt, „was für eine dumme Frage.“
„Ich auch nicht“, sagt Any ruhig, „aber ich würde das Gift nutzen, um ein Gegenmittel herzustellen. Genau das, habe ich vor.“
„Ein Gegenmittel gegen Bomben?“, fragt Tarena, „sowas wie einen Raketenabwehrschirm?“
Any antwortet nicht und noch bevor Tarena ihre Frage wiederholen kann, bemerkt sie am Rande ihres Blickfelds etwas Ungewöhnliches. Wie ein Flirren in der Luft. Sie weiß nicht einmal, warum sie es tut, aber wie aus einem vollkommen unbewussten Reflex heraus schwingt sie ihre Peitsche.
Ein Schrei ertönt, graues Blut spritzt auf und Tarena erblickt eine Scyonin, deren halb-durchsichtiger Körper jetzt mit einer hässlichen Wunde verunstaltet ist. Tarena reicht das nicht aus. Sie schwingt die Peitsche wieder und wieder, bis die Sumpfhexe schwer verwundet und regungslos auf der Erde liegt.
„Verdammt, wo kam die her?“, fragt Tarena und ist sich nicht sicher, ob Any überhaupt mitbekommt, was um sie herum geschieht.
Doch offenbar ist Any der Angriff der Frau nicht entgangen. „Stopp!“, verlangt sie von Adrian und dieser hält sofort in seinen Schilderungen inne. Any blickt erst auf die tote Scyonin und dann zu Tarena.
„Ich weiß es nicht genau …“, überlegt Any, „sie muss aus dem Zwischenraum gekommen sein. Das ist hier im Efryum schwierig, aber nicht unmöglich. Doch eigentlich sollte sie es nicht auf uns abgesehen haben. Die Scyonen sind in den meisten Zeitlinien neutral, in einigen sogar auf unserer Seite. Das kann …“
Plötzlich schlägt die zwar schwer verletzte, aber offenbar noch immer nicht tote Frau die Augen auf. „Ich … wir kommen … im Auftrag von Moydrur. Wir … wir verlangen Adrians Sohn. So, wie es versprochen war.“
Dann bricht die Scyonin endgültig zusammen.
Stille kehrt ein. Und Tarena ist noch immer dabei, diese Nachricht zu verarbeiten, als rund um sie die Luft erneut zu Flackern beginnt. Diesmal nicht nur an einer Stelle, sondern an unzähligen, wie in der Mittagshitze einer bravianischen Wüste.