Was für ein großes Spektakel. Eigentlich hatte ich nicht mehr wirklich dran geglaubt, dass die das mit der Mars-Mission noch einmal gebacken kriegen. Jedenfalls nicht mehr zu meinen Lebzeiten. Die Nasa wollte ja ohnehin erst in vielen Jahren Menschen dort hoch schicken und die privaten Raumfahrtprogramme, die den selben Zweck verfolgten, hatten ihr geplantes Startdatum noch zuverlässiger nach hinten verschoben als die Zeugen Jehovas ihre Voraussagen für den Weltuntergang.
Dann aber war es doch passiert. Die verschiedenen staatlichen Raumfahrtorganisationen und privaten Investoren hatten sich zusammengetan und das scheinbar unmögliche möglich gemacht. Gemeinsam hatten sie mit Hochdruck an der Mission gearbeitet und ihr damit sogar ein Rückflugticket verpasst. Anders als bei einigen Missionen zunächst geplant, mussten die Astronauten also doch nicht dort oben bleiben, bis sie eine Infektion, das Versagen der Lebenserhaltungssysteme oder ein amoklaufender Mitastronaut umbrachten. Dadurch waren die ethischen Bedenken, die Mission wie geplant durch die Vergabe der Übertragungsrechte zu finanzieren, auch noch mal viel kleiner. Immerhin würde man niemandem beim langsamen Verrecken zusehen.
Bereits die Vorbereitungen wurden intensiv von den Medien begleitet und wo sonst schlechte oder bestenfalls mittelmäßige Sänger von einer lieblos zusammengewürfelten Jury zu Stars gekürt, oder der König der Dreckwühler und Insektenfresser von den Zuschauern bestimmt wurde, übertrug man nun Trainingsmissionen, Einstzbesprechungen und Interviews mit den Astronauten und ihren Familien. Ein mindestens ebenso spektakuläres Schauspiel. Auch wenn jetzt leider das große Drama der Trennung auf Lebenszeit wegfiel. Am 27. August 2022 war es endlich so weit. Die ersten Menschen machten sich auf die Reise zum roten Planeten.
Natürlich wurden auch der sechsmonatige Flug und die einjährige Mission im Stil einer Doku-Soap aufbereitet und von jedem Sender auf seine Weise verwurstet. Am Ende kannte wohl jeder die sechs Astronauten besser als seine eigene Mutter. Doch eines war ganz sicher. Bei aller Medienkritik: Die ersten Schritte der drei Astronautinnen und drei Astronauten auf der Marsoberfläche waren sicher das bewegendste, was seit langem über die Bildschirme geflimmert war.
Und trotz des hohen Unterhaltungsfaktors hatte die Mission auch wissenschaftlich einige erstaunliche Erkenntnisse gebracht. Nicht nur, dass man wie erwartet beträchtliche Mengen von Wasser an den Polen und sogar unter der Oberfläche gefunden hatte, von dem auch die Astronauten sehr profitierten. In diesem Wasser fand man auch lebendige Mikroorganismen. Anders ausgedrückt: Die ersten ausserirdischen Lebewesen, die je entdeckt worden waren.
Die Zeitungen und Internetportale und auch die sozialen Netzwerke brachen daraufhin natürlich vor Aufregung fast zusammen. Wir waren nicht allein im Universum. Endlich hatte man den Beweis. Noch viel erstaunlicher als dieses bakterielle Leben, dass zwar eine große Entdeckung aber nüchtern betrachtet auch ein wenig langweilig war, war der jedoch zweite Fund, den die Astronauten machten. In einer Höhle fand man neben den Mikroorganismen auch Pflanzen.
Quicklebendige algenartige Pflanzen, die verblüffenderweise auch ohne Sonnenlicht und mit wenig Wärme gediehen und von denen einige sogar so etwas wie Blüten bildeten. So ziemlich jeder Mensch auf unserem blauen Planeten hatte in diesem Moment klare Vorstellungen davon, was er zum Valentinstag verschenken wollte. Und als die Marsmission endete, nahmen die Astronauten wirklich einige dieser Pflanzen auf die Erde mit. Natürlich nur zu Forschungszwecken und unter strengen Qurantäneverordnungen.
Als aber die Astronauten samt ihrer kostbaren Fracht sicher auf der Erde gelandet waren, dauerte es nicht lange, bis ein genauso geschäftstüchtiger wie indiskreter Mitarbeiter einer der beteiligten Forschungseinrichtugen, ein paar Triebe aus den streng gesicherten Labors herausschmugelte. Die Pflanzen erwiesen sich als sehr anpassungsfähig und es war erwartungsgemäß nur eine Frage der Zeit, bis sie zu astronomischen Preisen auf dem Schwarzmarkt auftauchten. Zuerst versuchten die beteiligten Regierungen die Verbreitung einzudämmen, die Pflanzen einzusammeln oder sie zu vernichten. Aber sie sahen schnell ein, dass das sinnlos war. Längst gab es hunderte wenn nicht tausende Ableger und Samen. Also legalisierte man den Handel mit der Marspflanze kurzerhand, um ihre Verbreitung wenigstens einigermaßen im Blick behalten zu können, was natürlich auch dazu führte, dass sie schnell in jedem größeren Blumenladen zu kaufen war. Ich brauche dabei wohl nicht zu erwähnen, dass die Preise noch immer gesalzen waren. Trotzdem hatte mir mein Mann eine davon zum Hochzeitstag geschenkt.
Sie hatte natürlich einen ganz besonderen Platz auf der Fensterbank bekommen. Ihr Topf war mit roter Marserde gefüllt, was eigentlich nur ein optisches Gimmick war, da die Pflanze unter so ziemlich jeder Bedingung wunderbar gedieh. Auch wenn die Marspflanze durch ihre starke Verbreitung ein wenig von ihrer Mystik verlor, so liebte ich es einfach sie zu betrachten. Ich fühlte mich dann immer etwas stärker mit dem Kosmos verbunden. So als würde meine Welt doch aus mehr bestehen als aus einem langweiligen Job und meinen vier Wänden. Um ehrlich zu sein verbrachte ich sogar erstaunlich viel Zeit mit der Pflanze. Inzwischen auch gut mal vier Stunden am Tag. Oder auch sechs. Je nachdem wie viel Zeit ich so hatte.
Das war aber nichts im Vergleich zu unserem Nachbarn. Er war Rentner und hockte, seit er sich einige der Pflanzen besorgt hatte, eigentlich nur noch in seinem Garten. Bei jedem Wetter. Auch dann, wenn seine Frau ihn zum Essen rief. Er schien sich fast für nichts anderes mehr zu interessieren.
Ganz anders als ich. Ich hatte ja meinen Mann. Meine Arbeit. Meine Hobbies. Erst gestern hatte ich die Wohnung auf Vordermann gebracht und mich dann mit dem neuesten Buch meines Lieblingsautors auf die Couch gepflanzt. Oder war es vorgestern? Ganz bestimmt aber schon diese Woche. Glaube ich zumindest.
Ich betrachtete die perfekten roten Blätter. Ihre feinporige Struktur. Die dicke und fleischige Knospe die aus ihnen hervorragte. Ihr trockener und unbeschreiblicher Duft, der mich ein wenig an Staub und Rosen erinnerte. So schön. So einzigartig.
„Elisa!“ rief mein Mann mich sicher schon zum vierten mal. Oder zum ersten mal? Ich wusste es nicht. Vor allem wusste ich nicht, was so wichtig sein sollte. „Elisa. Komm mal her!“. Unwillig riss ich mich vom Anblick der Pflanze los und ging in die Küche wo mein Mann über einer Zeitung gebeugt saß. Was wollte er von mir? Konnte er sich nicht um seinen eigenen Kram kümmern? „Was ist nun schon wieder los“ schrie ich voller gerechtem Zorn. Aber der Idiot sah mich nur kopfschüttelnd an. Seine Augen hatten etwas von einem geprügelten Hund. Dieses Weichei. „Hier ist ein Bericht über die Marspflanze“ antwortete er mir endlich. Sofort erwachte mein Interesse. Vielleicht verriet der Artikel, wie man sie noch besser pflegte. Wie man sie noch höher wachsen ließ. Wie sie noch mehr strahlen würde. „Was steht dort?“ fragte ich mit ungeduldiger Stimme.
Mein Mann senkte den Blick wieder auf den Artikel in seiner Zeitung. Warum las er nicht schneller. Konnte der denn gar nichts! „Die Regierung betonte heute erneut, dass sie vom Kauf der Marsgewächse zu Dekorationszwecke dringend abrät. Noch immer sei zu wenig über die chemische Struktur der Pflanze und über die Wirkung ihrer Sporen auf das zentrale Nervensystem bekannt. Ausserdem gäbe es bereits eine Reihe von beunruhigenden Zwischenfällen, bei denen ein Zusammenhang mit der so genannten Marspflanze nicht ausgeschlossen werden kann. Wir empfehlen deswegen unbedingt …“. Ich schleuderte die Zeitung wütend vom Tisch und zertrat ihre Lügen mit dem Absatz meiner Stiefel. „Wegen so einem Schrott rufst du mich?“ schrie ich meinen Mann an. „Es ist nicht nur deswegen. Wir wollten ja eigentlich noch gemeinsam den Schrank aufräumen und ausserdem ist heute unser Kennenlerntag und da dachte ich, wir könnten uns was schönes zu Essen machen.“ Ich konnte sein Gewimmer nicht länger ertragen. „Friss doch einfach deine Lügen. Ich habe keinen Hunger.“ Verärgert ging ich zu der wunderschönen Pflanze zurück und spürte sofort wieder Frieden.
Ihre kräftigen roten Blätter schienen mir allen Schmerz zu nehmen. Ich verlor mich in ihr und in ihrem Duft und genoß einfach den vollkommenen Frieden. Zumindest bis mich eine störende Hand an der Schulter packte. Geistesgegenwärtig packte ich die Gartenschere, die auf der Fensterbank lag und versenkte sie mit aller Kraft in der lästigen haarigen Hand. Mein Mann schrie laut auf. „Verdammt. Hast du den Verstand verloren! Wo ist das Desinfektionsmittel. Ich muss das desinfizieren.“ Pah, dachte ich. Soll er sich das blöde Mittel doch selber suchen. Das tat er dann auch. Ich hörte ihn panisch rumkramen. „Diese blöde Pflanze kommt weg. Ich hätte sie dir nie schenken sollen. Sie kommt auf den Müll.“ Rote Wut durchbrach den wundebaren Frieden, den mir die Pflanze schenkte. Aber ich beherrschte mich, griff mir eine Flasche von der Fensterbank und ging mit Unschuldsmine zu meinem Mann.
„Wahrscheinlich hast du recht Schatz. Es ist wohl besser so“ säuselte ich. Trotz seiner Schmerzen sah er erleichtert aus. „Ich habe es ja nicht böse gemeint. Ich kaufe dir eine wunderschöne neue Pflanze. Von der Erde. Diese hier ist einfach zu gefährlich. Du bist so anders seit ich sie dir geschenkt habe …“. Ich muste dieses Gejammer unterbrechen. Ich hielt es nicht mehr aus. „Es ist schon gut Schatz. Hier ist das Desinfektionsmittel“. Ich reichte ihm die Flasche und sah zufrieden dabei zu wie er sich die Bleiche über seine offene Wunde schüttete. „Du verrückte Schlampe!“ schrie er mich an. Endlich zeigte er sein wahres Gesicht. Als er sich ins Bad begeben wollte, um sich die Bleiche aus seiner geschundenen Hand zu waschen stellte ich ihm ein Bein. Der Idiot fiel hart auf seinen Schädel. Ich hörte seine Hand zischen. Wahrscheinlich hatte ich jetzt endlich Ruhe.
Erneut betrachtete ich zärtlich mein kleines Marswunder. Atmete seinen Duft ein, liebkoste seine Blätter. Und seine Knospe, die sich inzwischen beinah schon zu einer Blüte entfaltet hatte. Wie wunderschön! Warum konnte nicht alles so einfach und schön sein. Doch erneut wurde ich gestört. Mein Mann robbte auf mich und die Pflanze zu. In seiner gesunden Hand hielt er einen Kerzenanzünder. Von der anderen war kaum noch was übrig. Seine Augen glühten im Schein der Flamme rot wie die Heimat meines pflanzlichen Wunders. Aber nicht halb so schön. „Wir müssen sie zerstören, Elisa. Sie macht dich verrückt. Sie ist nicht gut …“ Weiter kam er nicht. Ich stürzte mit einer von mir nie gekannten Kraft auf ihn zu und rammte ihm die Gartenschere wieder und wieder in den Leib. „Warum Elisa. Warum tust du das. Ich liebe dich doch. Ich habe so viel für dich getan, ich .. „ Ich sah ihn voll Verachtung an. „Die Pflanze zu kaufen war das einzig gute, was du je für mich getan hast. Und das willst du mir auch noch nehmen? Fahr zur Hölle!“ Ich riss ihm den Anzünder aus der Hand und drückte ihm die Flamme direkt ins Auge. Er schrie, als sein Auge verdampfte und gab erst nach vielen weiteren Stichen mit der Schere Ruhe.
Nun herrschte endlich Stille. Nichts würde mehr zwischen mich und meine außerirdische Zauberpflanze kommen. Ich betrachtete sie Tag und Nacht. Ich verschmolz förmlich mit ihr. Einmal, als der Hunger und der Durst wirklich übermächtig wurden, ging ich ihn die Küche und schaltete aus einem Impuls heraus den Fernseher an. Natürlich ging ich danach direkt zu meinem einzigen Freund auf dieser Welt zurück. Aber so hörte ich immerhin die interessanten Berichte aus dem ganzen Land. Der ganzen Welt. Von Frauen und Männern, die ihre kosmischen roten Schätze mit ihrem Leben verteidigt hatten. Die dafür Nachbarn, Partner und Kinder aus dem Weg geräumt hatten, die ihnen das Glück nicht gönnten. Für mich waren sie alle Helden.
Auch hörte ich davon, dass sich die Pflanzen mehr und mehr zu verbreiten begannen. Die Sporen flogen mit dem Wind überall umher und legten sich in Gärten, Wälder, Pflanzenkübel, Fensterbänke, Parks und viele andere Orte. Sie verdrängten all die anderen langweiligen grünen Pflanzen. Sie schafften sich ihr eigenes Reich auf diesem Planeten. Zwar gab es intensive Anstrengung von Militärs und Spezialeinheiten, die Verbreitung einzudämmen, aber man hatte so gut wie keine Erfolge zu verzeichnen. Die Pflanzen waren zu zäh. Bald schon – so sagte der Sprecher – würden sie sich über die gesamte Erde ausgebreitet haben. Ich hoffte, dass dieser Traum wahr werden würde. Es wäre das rote Paradies auf Erden.